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Die EU nach dem 24. Februar 2022 – Eine Bestandsaufnahme

Datum: 25 Feb. 2022
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Putin
Kommentare: Comments are off

Als ich am 24. Februar 2022 gegen 5.30 aufwachte, hatte Putin den Krieg gegen die Ukraine bereits gestartet und es gab die ersten zivilen und militärischen Todesopfer auf der ukrainischen Seite.

Im Lauf des Tages konnte man im Fernsehen einen Putin sehen, der in den frühen Morgenstunden voller Hass und offenbar mental in einem Gewaltrausch seinen Krieg mit irrsinnigen Argumenten begründete.

Es war nicht mehr der Putin, der wochenlang mit sehr kontrolliertem Minenspiel die Politiker*innen des Westens belog und der Öffentlichkeit vorführte. Jede in diesen Tagen geäußerte Befürchtung über eine unkontrollierte Ausweitung des von Putin befohlenen Kriegs scheint angesichts dieses Mannes im Kreml gerechtfertigt. Alle bisherigen Versicherungen der vielen Putinkenner*innen, es handele sich trotz allem um einen rational handelnden Politiker, sind falsifiziert worden.

Im Moment weiß niemand, auch Putin nicht, was tatsächlich wird. Hierüber zu spekulieren muss ich besser Informierten überlassen.

Was wird aus der Europäischen Union? Seit Wochen gibt sie ein geschlossenes Bild ab, was nach den vielen Jahren nationalistischer Eitelkeiten wohltuend ist, aber reichlich spät kommt.

Viel zu lange wurde die Veränderung der Welt zum Schlechteren hin falsch eingeschätzt. Statt dessen wurden diese Eitelkeiten gepflegt wie nur was, die EU, der man angehörte und von der man profitierte, wurde zum Feind erklärt (Polen). Orban besuchte vor wenigen Wochen Putin und gab sich herzlich, zuhause verkündete er, dass Ungarn vielleicht doch aus der EU austreten solle. Auch er trägt nun die Sanktionen mit – was allerdings nichts an seiner „Freundschaft“ mit dem Täter im Kreml ändert.

In der EU sollte sich wenigstens jetzt, falls es nicht eh zu spät ist, die Erkenntnis durchsetzen, dass die EU nur dann eine Zukunft hat, wenn sie ihre Prioritäten ändert bzw. deren aktive Ausführung, wie die Priorität „Frieden“, den gegebenen Bedingungen anpasst.

Frieden durch Wohlstandsmehrung, vielfache Zusammenarbeit und Orientierung an gemeinsamen Werten wie den Menschenrechten allein reicht schon seit einiger Zeit nicht mehr aus. Das ist in der EU nicht übersehen worden, aber die Initiativen im Bereich einer gemeinsamen Verteidigung sind weit hinter dem zurück geblieben, was nötig gewesen wäre.

Hier ist vieles nachzuholen in einer Situation enormen Drucks von außen, der nicht durch die EU selber reguliert werden kann.

Nicht erst durch den 24. Februar wurde klar, dass etliche Handelspartnerländer der EU wie die Russische Föderation, China und andere zwar am gemeinsam Handel großes Interesse haben, da sie auch auf die eigenen Kosten kommen, dass diese Länder aber „höhere“ Interessen haben, hinter denen wirtschaftliche Vernunft jederzeit zurücktreten muss – nicht zu reden von humanitären Werten oder humanistischem Idealismus.

Die EU wird ihre in ihrer Geschichte angelegte absolute Priorisierung der Wirtschaft überdenken müssen. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheits- sowie Verteidigungspolitik (in enger Abstimmung mit der NATO) beansprucht nun Vorrang.

Die Unionsmitglieder müssen sich der Diskussion darüber stellen, ob die bisherige Konstellation, dass 27 politische, militärische und, je für sich betrachtet, auch wirtschaftliche Zwerge zusammenarbeiten, wenn sie gerade Lust dazu haben, und wenn sie dazu gerade keine Lust haben, Grenzen schließen, verbale Schmähungen ausstoßen und so fort, ob diese Konstellation nicht zum Unionssuizid führt.

Vernünftig wäre es, die Union in einen Bundesstaat zu transformieren. Der „Preis“, den die Mitgliedsländer zu zahlen hätten, wäre gering – sie müssten lediglich ihre nationalistischen Kindereien und Eitelkeiten ablegen, die ohnehin keinerlei Mehrwert haben, sondern nur kontraproduktiv sind. Gewisse Politiker*innen müssten ihre ebenso eitlen wie wirkungslosen außenpolitischen Alleingänge beenden und sich von der naiven Illusion, einen besseren Gesprächskanal zu den Diktatoren unserer Zeit zu haben als andere, verabschieden. Gewisse Parteien müssten lernen, dass das Parteiwohl nicht über das Staatswohl gestellt werden darf – das ist wohl der schwierigste Part dabei.

In der Zwischenzeit kann man nur hoffen, dass sich die Geschlossenheit der EU-Mitglieder als dauerhaft erweist. Sie wird auf eine sehr ernsthafte Probe gestellt werden, wenn in der Ukraine, wie zu vermuten ist, eine Putin-hörige Marionettenregierung eingesetzt worden ist. Wird die EU diese anerkennen, mit ihr zusammenarbeiten? Wird sie dann wieder russisches Gas und Öl zu erträglichen Preisen wichtiger nehmen als Werte?

Frankreich und Deutschland hätten einiges zu ändern. Der französische Präsident Macron war in seiner bisherigen, in wenigen Wochen endenden (ersten) Amtszeit, außenpolitisch auffällig erfolglos. Das gilt speziell in Bezug auf Putin, aber auch in vielen anderen Bereichen. Die deutsche Politik gegenüber Putin hat sich als naiv erwiesen, sie hat falsche Prioritäten gesetzt. Das alles wurde auch schon lange öffentlich gesagt, es ist nicht so, als würde nun, nachdem der Krieg begonnen wurde, lediglich klug hinterhergeredet.

Am meisten ändern muss sich wohl die deutsche Politik. Mehr als je zuvor braucht die EU Deutschland, ein Deutschland, das nicht nur dann pro-EU handelt, wenn der eigene ökonomische Vorteil gesichert ist.

In den zwei Stunden, in denen ich über die Situation nachgedacht und diesen kleinen Text redigiert habe, sind in der Ukraine weitere Menschen gestorben, Wohnhäuser wurden von Geschossen getroffen, Kinder und Erwachsene werden traumatisiert, es gibt für niemanden mehr ein normales Leben.

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