[1] Auf die Initiative des Verlegers Jürgen Ehrmann hin entstand ein von 12 syrischen Flüchtlingen unter Federführung des Berufskochs Jwan Joo Daod verfasstes Kochbuch. Zu jedem Flüchtling gibt es seine kurzgefasste Lebens- und Fluchtgeschichte, seine in einem Zitat ausgedrückte Zukunftshoffnung – und natürlich das Gericht mit Rezept, das jeder gekocht hat.
[2] Zwölf syrische Männer im Alter zwischen 19 und 44 Jahren: Sie kommen aus Orten und Regionen, die wir aus den Medien kennen; wir haben vor den Kameras Bomben fallen sehen, wir haben die Verletzten und Toten gesehen, die Ruinen; wer es sehen wollte, konnte und wurde Zeuge des Krieges in Syrien: Deir-ez-Zor, Damaskus (die zerbombten Stadtteile), Qamischli, Aleppo, Kobaní, Nordsyrien, Nordirak.
[3] Kochen verbindet Menschen, davon geht das Buch aus, das Kennenlernen der Beteiligten erfolgte beim Kochen und Essen, die vorgestellten Gerichte wurden gemeinsam gekocht, gemeinsam gegessen. Am 20. November 2015 wurde das Buch in Bad Fischau-Brunn (bei Wiener Neustadt), wo sich die Flüchtlinge kennengelernt hatten, vorgestellt und 300 BesucherInnen kosteten vom syrischen Buffet. Alle haben gratis gearbeitet, der Erlös des Buches geht als Spende an den Sozialfonds für Flüchtlingshilfe in Bad Fischau-Brunn.
[4] Nicht nur Kochen und Essen verbindet die Menschen, sondern auch ihre Lebensgeschichten. Warum sind es 12 Männer? Ein wenig ist es Zufall, aber dass sich unter den Flüchtlingen viele Männer befinden, hat – und das führen die kurzen Lebensgeschichten in dem Buch noch einmal vor Augen – vor allem zwei präzise Gründe: Diese Männer wollten weder von der syrischen Armee noch vom IS noch von anderen bewaffneten Gruppen zum Kämpfen gezwungen werden und sie wagten nicht nur für sich sondern für die Familie die lebensgefährliche Flucht. Die Familien, die ihren materiellen Wohlstand dafür geopfert haben, trauten ihnen zu, dass sie es bis nach Österreich oder in ein anderes Land schaffen und dort die Familie wieder vereinigen können.
[5] Gibt es einen menschlicheren Wunsch? Gibt es ein grundlegenderes Menschenrecht?
[6] Wie zynisch sind alle die, die von Obergrenzen, Aussetzung des Familiennachzugs sprechen oder pauschale Verdächtigungen in die Welt setzen, dass man sich Terroristen ins Land hole! Ist Europa der Kontinent der versteinerten Herzen? Wann und wo ist der Punkt erreicht, wo es sich um politische Beihilfe zum Mord handelt? Warum wird eine menschlich-kluge politische Entscheidung (vom 4. Spetember 2015) im EU-Europa insbesondere von PolitikerInnen ohne Not zerredet?
[7] In verschiedensten Medien wurden Flüchtlinge aus verschiedensten Ländern interviewt, ihre Lebensgeschichten erfragt. Die 12 Lebensgeschichten hier untermauern das, was wir wissen können, wenn wir wollen. Hat man im satten und reichen Europa die Fähigkeit verloren zu verstehen, was Verzweiflung ist, was sie bedeutet? Und: Ist es nicht besser, dass Männer den wohl letzten friedfertigen Ausweg wählen und fliehen, um die Familie nachzuholen, statt, wie an die Wand gestellt, zur Waffe zu greifen?
[8] Zitat aus dem Vorwort des Koches Jwan Joo Daod: „In aller Kürze: Wir sind Syrer, die vor einem grausamen Krieg, der derzeit in unserem Land wütet, geflohen sind. Trotzdem sind wir zwölf Menschen verschiedensten Alters aus unterschiedlichen Städten. Manche von uns sind Kurden, Araber oder Armenier, manche Moslems, andere Christen. Dennoch haben wir alle eine Gemeinsamkeit: Wir haben die schwerwiegende Entscheidung getroffen, einen lebensgefährlichen Weg auf uns zu nehmen, in der Hoffnung, unsere Familie und uns selbst in Sicherheit zu bringen.“ [S. 10]
[9] Wenn an Weihnachten meine Kinder nach Wien kommen, werden wir einige Gerichte aus dem Kochbuch nachkochen.
Dokumentation:
Jwan Joo Daod, unter Mitarbeit von Abdulkader, Aram, Diyar, Elia, Emad, Heider, Ibrahim, Lukman, Marwan, Mohamad, Siamand: Zu Gast bei Freunden. 12 Geschichten und Rezepte aus Syrien. Edition Esspapier 2015
Hier finden Sie alle Informationen, wenn Sie das Buch erwerben und dadurch den Sozialfonds für Flüchtlingshilfe in Bad Fischau-Brunn unterstützen wollen.
Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Edition Esspapier.
Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):
Wolfgang Schmale: „12 Geschichten und Rezepte aus Syrien“. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/12-geschichten-und-rezepte-aus-syrien, Eintrag 22.11.2015 [Absatz Nr.].
Lieber Wolfgang, vielen herzlichen Dank für diesen schönen und informativen Beitrag über „Zu Gast bei Freunden. 12 Geschichten und Rezepte aus Syrien“. Das Buch ist als Koch-Lese-Buch konzipiert, das heißt, es sind darin die Geschichten der jungen Männer aus Syrien sowie Rezepte aus der syrischen Küche miteinander verbunden. Das war uns auch ganz wichtig, da wir meinen, dass Kochen die Gemeinschaft festigt, das Miteinander stärkt und obendrein noch einen Riesenspaß macht. Apropos: Die Rezepte sind so ausgewählt, dass man die Zutaten auch hier ohne Weiteres bekommt (manchmal nicht im Supermarkt um die Ecke, aber im türkischen Lebensmittelgeschäft auf jeden Fall) und sie unsere Gaumen nicht überfordern. Klar, in der syrischen Küche spielen orientalische Gewürze eine nicht unwesentliche Rolle. Aber selbst die sind mittlerweile auch in unseren Breiten leicht erhältlich. Ich wünsche allen, viel Spaß und Freude beim Lesen im und beim Kochen mit diesem Koch-Lese-Buch. Herzlichst Jürgen Ehrmann