logo
  • Home
  • Europa-Tagebuch
  • Das Digitalzeitalter
  • Feuilleton
  • Über mich

Atlantische Demokratie am Ende: USA, Vereinigtes Königreich, Frankreich

Datum: 19 Jan. 2019
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Atlantische Demokratie, UK
Kommentare: Comments are off

Als atlantische Demokratie lassen sich die drei in der westlichen-atlantischen Aufklärung wurzelnden politischen Systeme des Vereinigten Königreichs, der USA und Frankreichs bezeichnen. Die atlantische Demokratie legte einst den Grundstock für den Westen. Alle drei Systeme stecken tief in der Krise und stehen für Chaos, Blockade, Stillstand, Versagen, Irrationalismus, Verantwortungslosigkeit, Missbrauch des Systems. Die Kosten der Systemdysfunktionalität in den drei Ländern sind für die anderen – die Nachbarn, Partner, den Westen – inzwischen sehr hoch. Der Westen wird durch diese drei West-Länder mehr destabilisiert als durch die Russländische Föderation oder andere.

[1] Zum politischen System in den USA, im Vereinigten Königreich und in Frankreich drängen sich nur noch Negativa auf: Chaos, Blockade, Stillstand, Versagen, Irrationalismus, Verantwortungslosigkeit, Missbrauch des Systems.

[2] Die älteste der drei Demokratien ist die englische, während die US-amerikanische und die französische kurz hintereinander im Zuge der Atlantischen Revolution am Ausgang des 18. Jahrhunderts errichtet wurden.

[3] Die französische Demokratie war dabei zunächst die unvollkommenste, da man sich von 1789-1791 mit einer konstitutionellen Monarchie zufriedengab und dann nach einem konfliktreichen Jahr 1791-1792 die erste Republik ohne König errichtete. Mit dem Staatsstreich Napoleons 1799 war das vorbei.

[4] Dessen ungeachtet war es bezeichnend, dass die drei mächtigsten Länder des damaligen atlantischen Raums zwar unterschiedliche, aber eben doch (proto-)demokratische Wege gingen. Bei aller Unterschiedlichkeit etablierten sie DAS Modell für den modernen Staat schlechthin.

[5] Das englische Modell wurde seit der Glorreichen Revolution 1688 immer wieder, auch im 19. Jahrhundert reformiert, das US-amerikanische ist auf dem Verfassungspapier bis heute erstaunlich stabil, geradezu historisch geblieben, auch wenn diverse Verfassungszusätze für erforderliche Reformen stehen.

[6] Frankreich fand erst 1871-1875 zur republikanischen, demokratischen Form. Genau genommen muss man in allen drei Fällen von Proto-Demokratie sprechen, denn das Frauenwahlrecht wurde in Frankreich erst nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt, in den USA staatenweise seit dem späten 19. Jahrhundert, im Vereinigten Königreich 1918. Bestimmte Bevölkerungsgruppen waren dennoch vom Wahlrecht ausgeschlossen. Indianer erhielten in den USA dieses Recht erst 1924, Afroamerikaner erst 1965.

[7] Das weitere Europa zog nur langsam nach, die drei atlantischen Vorbilder waren wichtige Anker bei der Entwicklung der modernen Demokratie.

[8] Sicher drängt sich insgesamt der Eindruck von „Demokratie in der Krise“ auf, allerdings darf man nicht vorschnell zu dieser Diagnose kommen. Dass extremistische Parteien genug Wähler*innenstimmen erhalten, um in ein Parlament einzuziehen, ist nicht automatisch Zeichen einer Krise.

[9] Dass populistische Parteien Regierungspartei werden, ist auch noch keine Krise; das wird es erst dann, wenn mit Verfassungsmehrheiten demokratische Verfassungen ausgehöhlt und autoritäre Elemente in die Verfassung eingebaut werden.

[10] Aber selbst wenn ein besorgter Blick auf einige ostmitteleuropäische Länder und etwa Italien gerechtfertigt ist, kann dort vorerst weder von Blockade, noch Stillstand, noch Versagen die Rede sein. Nicht einmal Irrationalismus trifft zu; Verantwortungslosigkeit und Missbrauch des Systems sind hingegen zunehmend Praxis.

[11] Über die Regierungs- und Verfassungspraxis des amerikanischen Präsidenten ist kaum Neues zu sagen; er polarisiert, segregiert, exkludiert, diffamiert, emotionalisiert, erniedrigt, beleidigt. Man staunt, was ein amerikanischer Ppräsident alles tun darf und kann, selbst wenn es unmoralisch, unethisch ist oder schlicht kleinlichen Rachegelüsten entspringt.

[12] Die Affären um Trump als Präsidenten zeigen aber, wie sehr das Amt von den charakterlichen, moralischen und ethischen Qualitäten des Amtsinhabers abhängt. Das politische System hält keine Instrumente vor, die hier schnell regulierend eingreifen würden. Vor allem erstaunt, in welchem Umfang es praktizierbar ist, ausschließlich die eigene Klientel – in absoluten Wähler*innenstimmen eine Minderheit – zu bedienen, ohne das Wohl Aller im Auge haben zu müssen. Wo ist die praktische Garantie im politischen System eingebaut, dass Regierungshandeln am Wohl Aller zu orientieren ist? Dies gehörte zu den Grundsätzen der Aufklärer, aus deren Denkfabrik die atlantische Demokratie stammt.

[13] Im Vereinigten Königreich blockieren sich Regierung und Parlament nach Kräften, die Queen ist für die großen Fragen nach Sinn und Zweck des Staats nicht zuständig. Offenbar sind aber ebensowenig die Regierung noch das Parlament dafür zuständig, diese eminent wichtige Rolle ist nicht besetzt, keine Funktionsstelle vorhanden. Das ist in den europäischen Demokratien mit Staatspräsident*innen [Abs. 1-12] zumeist besser gelöst.

[14] Gerade in bezug auf den Brexit ist das Ausmaß an Verantwortungslosigkeit und Irrationalismus erschreckend. Und noch erschreckender ist es, dass es keine verfassungsmäßige Handhabe dagegen gibt.

[15] USA wie UK schädigen nicht nur sich selbst, sondern viele andere Länder. Dies spricht entschieden dagegen, die Demokratie des 21. Jahrhunderts immer noch fast ausschließlich im nationalen Rahmen zu denken und zu konzipieren.

[16] Mit der EU wurde versucht, europäische demokratische Strukturen und Institutionen einzuführen; das mag unvollkommen sein, aber statt sich ausschließlich auf die Defizite zu konzentrieren, wäre es nötig, die Defizite und Nachteile rein nationalstaatlich konzipierter Demokratien gleichzeitig und im Vergleich mit der EU zu betrachten.

[17] Unter den drei atlantischen Demokratien steht Frankreich sicher besser da als die beiden anderen, aber die Demokratie erweckt den Eindruck, in Auflösung begriffen zu sein.

[18] Bei den letzten Präsidentschaftswahlen hat es die traditionsreichen Parteien (Sozialisten, Gaullisten, Liberale) völlig zerlegt – nicht erst bei den Wahlen, der Zerfallsprozess dauert schon länger.

[19] Etwas verlässliches Neues ist nicht an deren Stelle getreten, die Bewegung und jetzt Partei von Präsident Macron ist nicht gefestigt. Im Vergleich zur spontanen Partei der Aufständischen (u.a. Gelbwesten) ist sie schwach. Die Regierung bekommt die Probleme nicht in den Griff, die zum Teil sehr alten Probleme wie die enorme soziale Schieflage werden keiner Lösung näher gebracht.

[20] Liegt das am politischen System oder an der begrenzten politischen Begabung der Akteur*innen? Da der Präsident der Regierungschef ist, kann er als Staatspräsident nicht den Unparteischen, der über den Konflikten und Konfliktparteien steht, geben.

[21] Während in den USA und im Vereinigten Königreich verantwortungsvollere Akteur*innen das politische System wieder flott machen könnten, scheint das in Frankreich weniger aussichtsreich, da die Systemkrise nicht aus der Verantwortungslosigkeit sei es des Premierministers, sei es des Präsidenten, sei es des Parlaments, sei es des Senats entstanden ist.

[22] Allerdings sind politische Systeme, die mit der charakterlichen Qualität der Akteur*innen stehen oder fallen, wohl schlecht konstruiert. Sie müssen auch dann ohne Blockaden im Staat funktionieren können, wenn die Akteur*innen ihren Aufgaben nicht gewachsen sind.

[23] Alle drei Länder brauchen einen Verfassungskonvent. Die Defizite und Gründe für die Dysfunktionalitäten müssen genau erhoben und analysiert werden. Danach muss eine Verfassungsreform kommen. In allen drei Ländern ist das Wahlrecht kritisch zu überprüfen, ebenso der Funktionszuschnitt für das Staatsoberhaupt.

[24] Die Kosten der Systemdysfunktionalität in den drei Ländern sind für die anderen – die Nachbarn, Partner, den Westen – inzwischen sehr hoch. Der Westen wird durch diese drei West-Länder mehr destabilisiert als durch die Russländische Föderation oder andere.

[25] Die atlantische Demokratie legte einst den Grundstock für den Westen…

Dokumentation: Das Bild zum Blog zeigt ein Porträt Montesquieus, das in seinem Arbeitszimmer in La Brède hängt. Montesquieu wird mit dem Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung (Buch „Vom Geist der Gesetze“, 1748) eng verbunden, die vermeintlich in der englischen Verfassung verwirklicht gewesen sei.

Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):

Wolfgang Schmale: Atlantische Demokratie am Ende: USA, Vereinigtes Königreich, Frankreich. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/atlantische-demokratie, Eintrag 19.01.2019 [Absatz Nr.].

Teilen
  • google-share

Suche


Neueste Beiträge

  • Europäische Demokratieunion
  • Kann Demokratie überhaupt noch im einzelstaatlichen (nationalen) Rahmen praktiziert werden?
  • What now for Europe, as global integration crumbles?
  • 24. Februar 2025
  • Trump und Putin gegen die Aufklärung
  • Dem historischen Prozess der Befriedung durch Recht droht das Ende
  • Europa 2024 – Eine Bilanz
  • »Freiheit« – Angela Merkels Erinnerungen
  • Datenschutz und Informationsfreiheit in europäischer Sicht – 8. Auflage des bewährten Handbuchs
  • „The Making of European Music“ between European Self-identification and Colonialism – About David R.M. Irving’s new book.

Neueste Kommentare

  • Peter Nemschak bei The EU’s Geopolitical Hideout in Myanmar – Georg Bauer on Borrell’s blog post on Myanmar
  • Alexander Burstein bei Digitaler Humanismus – Lehren aus Covid-19
  • Gerhard Kaucic bei Theorie des Digitalen Zeitalters
  • Alexander Burstein bei Den Rassismus auf Abstand halten
  • Alexander Burstein bei Der EU-Gipfel 17. Juli bis 21. Juli 2020 – Pyrrhussieg oder zukunftsfähige EU? Jedenfalls kein historisches Datum…

Archiv

  • April 2025 (2)
  • März 2025 (1)
  • Februar 2025 (2)
  • Januar 2025 (2)
  • Dezember 2024 (2)
  • November 2024 (2)
  • September 2024 (2)
  • August 2024 (1)
  • Juli 2024 (3)
  • Juni 2024 (3)
  • April 2024 (2)
  • März 2024 (2)
  • Februar 2024 (1)
  • Januar 2024 (1)
  • Dezember 2023 (1)
  • November 2023 (2)
  • Oktober 2023 (2)
  • September 2023 (1)
  • August 2023 (1)
  • Juli 2023 (1)
  • Juni 2023 (1)
  • April 2023 (1)
  • März 2023 (2)
  • Februar 2023 (1)
  • Dezember 2022 (1)
  • Oktober 2022 (1)
  • Juni 2022 (1)
  • Mai 2022 (1)
  • April 2022 (1)
  • März 2022 (1)
  • Februar 2022 (3)
  • Dezember 2021 (5)
  • November 2021 (3)
  • Oktober 2021 (2)
  • April 2021 (2)
  • Januar 2021 (1)
  • Dezember 2020 (3)
  • Oktober 2020 (3)
  • September 2020 (1)
  • August 2020 (1)
  • Juli 2020 (2)
  • Juni 2020 (1)
  • Mai 2020 (3)
  • April 2020 (2)
  • März 2020 (3)
  • Februar 2020 (2)
  • Januar 2020 (1)
  • Dezember 2019 (3)
  • November 2019 (1)
  • Oktober 2019 (1)
  • September 2019 (1)
  • August 2019 (2)
  • Juli 2019 (4)
  • Juni 2019 (1)
  • Mai 2019 (3)
  • April 2019 (3)
  • März 2019 (2)
  • Februar 2019 (2)
  • Januar 2019 (3)
  • Dezember 2018 (4)
  • November 2018 (2)
  • Oktober 2018 (2)
  • September 2018 (3)
  • August 2018 (2)
  • Juli 2018 (3)
  • Juni 2018 (5)
  • Mai 2018 (1)
  • April 2018 (1)
  • März 2018 (3)
  • Februar 2018 (5)
  • Januar 2018 (2)
  • Dezember 2017 (6)
  • November 2017 (3)
  • Oktober 2017 (3)
  • September 2017 (2)
  • August 2017 (2)
  • Juli 2017 (2)
  • Juni 2017 (2)
  • Mai 2017 (5)
  • April 2017 (2)
  • März 2017 (4)
  • Februar 2017 (4)
  • Januar 2017 (3)
  • Dezember 2016 (3)
  • November 2016 (3)
  • Oktober 2016 (3)
  • September 2016 (3)
  • August 2016 (3)
  • Juli 2016 (3)
  • Juni 2016 (3)
  • Mai 2016 (2)
  • April 2016 (4)
  • März 2016 (4)
  • Februar 2016 (4)
  • Januar 2016 (3)
  • Dezember 2015 (4)
  • November 2015 (4)
  • Oktober 2015 (5)
  • September 2015 (4)
  • August 2015 (3)
  • Juli 2015 (4)
  • Juni 2015 (4)
  • Mai 2015 (5)
  • April 2015 (4)

Schlagwörter

Antoine Vauchez Armenier Aufklärung Brexit Bundesverfassungsgericht Corona Covid-19 Democracy Demokratie Demokratie; Digitaler Humanismus Digital Humanities Emmanuel Macron EU Europa Europäische Identität Europäische Kultur Europäisches Kulturerbejahr 2018 europäische Solidarität Europäische Union Eurozentrismus Flüchtlinge Frankreich Genozid Geschichte Griechenland; House of European History Immanuel Kant Kolonialismus Kultur Macron Martin Schulz Mein Europa Menschenrechte Nationalismus Osmanisches Reich Paris Polen Praxeologie Solidarität; Staat Türkei Ungarn Vielfalt Wiener Kongress
RSS abonieren
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Links
Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Webdesign
www.media-solutions.at

© Wolfgang Schmale, Universität Wien
Cookie-Zustimmung verwalten
Um dir ein optimales Erlebnis zu bieten, verwenden wir Technologien wie Cookies, um Geräteinformationen zu speichern und/oder darauf zuzugreifen. Wenn du diesen Technologien zustimmst, können wir Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige IDs auf dieser Website verarbeiten. Wenn du deine Zustimmung nicht erteilst oder zurückziehst, können bestimmte Merkmale und Funktionen beeinträchtigt werden.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt. Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Optionen verwalten Dienste verwalten Verwalten von {vendor_count}-Lieferanten Lese mehr über diese Zwecke
Einstellungen ansehen
{title} {title} {title}