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„Systemrelevant“ – Auch unter Covid-19 Bedingungen müssen wir sorgfältig auf die Worte achten

Datum: 20 Aug. 2020
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Covid-19, Pandemie, Systemrelevant
Kommentare: Comments are off

Jedem Anfang wohnt auch Unschuld inne … ?

Im Kontext von Covid-19 wurde die Berufswelt in „systemrelevante“ Berufe und – stillschweigend – in nicht systemrelevante Berufe unterteilt. Und damit wurden, gewollt oder nicht, auch die Menschen nach dem Kriterium der Systemrelevanz aufgeteilt. Die einen waren wichtig, die anderen schienen nicht so wichtig oder gar vorübergehend geradezu entbehrlich.

Niemand sagte das wörtlich so, aber die Botschaft fiel implizit so aus. In der akuten Notlage klang das auch nicht unplausibel.

Am Anfang handelte es sich also um ein objektives Dilemma, das bei jeder größeren Krise vorhanden ist. Die Finanzkrise, zum Beispiel, vor rund 10 Jahren, betraf überwiegend den freilich großen und komplexen Finanzsektor. In diesen Jahren wurde „systemrelevant“ zu einem Wort des öffentlichen Diskurses. Es war klar, worauf sich das Wort bezog, vor allem stellten Institutionen wie die Banken das Ziel des Wortes da, nicht konkret Menschen in konkreten Berufen. Von „systemrelevanten Bankern“ sprach meiner Erinnerung nach niemand, sondern von „systemrelevanten Banken“.

Krise ist nicht gleich Krise

Bei Covid-19 war es anders. Um schwere, tödliche Erkrankungen, Epidemien, Pandemien zu bekämpfen braucht es Menschen, ohne die die Institutionen (z.B. Krankenhäuser) nutzlos wären. In der Finanzkrise war es insoweit anders, als sich der Zusammenbruch von Teilsystemen und einzelnen Banken als Ergebnis sich selbst steuernder Prozesse darbot, die durch die in den entsprechenden Berufen tätigen Menschen gar nicht gestoppt werden konnten, sondern nur durch massive Eingriffe politischer Akteure.

Die braucht es auch bei Covid-19, aber die Versorgung der Erkrankten, Schutz mindestens der besonders Gefährdeten, aber möglichst Aller, hängt für jede*n sichtbar am Engagement der Menschen, die in den geforderten Berufen arbeiten.

Alles Augenmerk richtete sich auf das Infektionsgeschehen und die Rettung von Menschen. Dass es sich um eine Krise handeln würde, die nicht den bisherigen Erfahrungen mit Krisen entsprechen sollte, war anfangs nicht klar. Der Unterschied zur eher sektoralen Finanzkrise war und ist, dass in jeder Phase der Krise die gesamte Gesellschaft betroffen war und ist und jede Maßnahme früher oder später durch die gesamte Gesellschaft hindurchgehen würde. Und nicht nur in Bezug auf die des eigenen Staats, sondern auch in Bezug auf andere in anderen Staaten.

So entwickelte sich „systemrelevant“, das eigentlich ein Fachwörtchen war, schnell zu einem Bewertungsbegriff, der Menschen auf- bzw. abwertete.

Die Covid-19 Pandemie lässt nichts, gar nichts unberührt. Das muss man sich klar machen

Nun hat die „Corona-Krise“ die Verwobenheit von Allem mit Allem und Allen offen gelegt. Wenn hier Unterstützung gewährt wurde, zeigte sich da, dass es auch Unterstützung braucht. Es gab keine Aussicht, ein Problem abschließend zu lösen, jeder Lösungsschritt zeitigte neue Probleme an anderer Stelle.

Wenn man es soziologisch betrachtet, haben sich sogar Nachtlokale als gesellschaftssystemrelevant erwiesen, weil sie unter gewöhnlichen Umständen Freizeitaktivitäten beschirmen, die nun nach der Schließung der Nachtlokale (nicht in allen Ländern) ins Freie verlegt wurden und zu zahlreichen Problemen geführt haben, die es sonst nur ausnahmsweise gibt.

In einer Pandemie ist Alles und sind Alle systemrelevant. Die besonders gebeutelten und anfangs geradezu missachteten Kulturschaffenden sind auch systemrelevant. Und so könnte man alle Berufsgruppen durchgehen.

Freilich gibt es akut zu setzende Prioritäten, da muss ein Teil Geduld haben und zurückstehen. Aber es gibt keinen guten Grund zuzulassen, dass auch noch in der Phase erfreulich niedriger Infektionszahlen im Frühsommer die Angehörigen ganzer Berufsgruppen das Gefühl hatten, als Parias betrachtet zu werden.

Lernen, lernen, lernen! Die Universitäten haben hier eine Rolle

Die Covid-19 Pandemie dauert nun schon einige Monate, sie wurde und wird von vielen Wissenschaften begleitend kritisch aufgearbeitet. Die Pandemie gibt uns sehr viel zu lernen, der Lern- und Lehrstoff entsteht bereits – aber ist die Bereitschaft zu lernen und es das nächste Mal besser zu machen, da?

Bei den Worten fängt es an. Bei der nächsten Krise sollte frühestmöglich überprüft werden, ob es sich voraussichtlich um eine sektoral begrenzte Krise handelt oder um eine, die große Teile der Gesellschaft oder die ganze Gesellschaft trifft. Und danach muss sich unter anderem richten, was wie gesagt wird. In einer Krise Menschen auf- oder abzuwerten, und sei es ungewollt, aus Unbedachtsamkeit, schlägt Wunden, die schwer heilen, denn das nächste Mal könnte es wieder genauso laufen. Diese Wirkungsmechanismen wurden hundertfach untersucht, das nötige Wissen ist abrufbereit.

Dazu braucht es Beratungskompetenz und -kapazität, das alles ist vorhanden, speziell an den Universitäten. Das vorhandene Wissen ist enorm, die Fähigkeit, in Krisen schnell Wissen praxisrelevant ‚zuzurichten‘ ist vorhanden – könnte aber in Zukunft bewusster trainiert und in die Curricula eingebaut werden. Die Universitätsabsolvent*innen sollten am Ende des Studiums die Kompetenz besitzen, Wissen in konkreten, nicht unbedingt vorhersehbaren Situationen, praxisrelevant zu machen. Das bezieht sich auf alle Fächer.

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