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Dem historischen Prozess der Befriedung durch Recht droht das Ende

Datum: 14 Jan. 2025
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Friede, Friede durch Recht, Verrechtlichung
Kommentare: Comments are off

Ein paar Beobachtungen

Die Forderung nach weitestgehender Deregulierung in Wirtschaft und Finanzwesen hat Hochkonjunktur. Der bekannteste und lauteste Ritter, der gegen den vermeintlichen Drachen der Regulierung und Bürokratie kämpft, ist Elon Musk. Auch „Meinungsfreiheit“ soll absolut verstanden werden, keine rechtlichen Einschränkungen mehr. Mit X (ehemals Twitter) verfügt Musk über ein effektives digitales Medium. Zuckerberg von Meta (mit Facebook etc. etc.) folgt ihm. Und so viele andere, auch in Europa.

Der Hype um absolut gesetzte Meinungsfreiheit jenseits von Recht und Moral wird genutzt, um andere Begriffe, die rechtlichen Schranken fern stehen, durchzusetzen, z.B. „Remigration“. Herbert Kickl, Obmann der österreichischen FPÖ, hat sich noch nie geniert, diesen Begriff als Kampfbegriff zu benutzen, und sein Gegenüber von der deutschen AfD, Alice Weidel, tut es ihm nach.

Viel harmloser nimmt sich dagegen der Ruf, landauf, landab, nach Bürokratieabbau aus. Wer würde das nicht unterstützen wollen? „Bürokratie“ wird dabei allerdings undifferenziert zum Sündenbock gemacht. Es wird suggeriert, dass „Bürokratie“ per se überbordend und daher schlecht sei, ihr Ursprung in der Gesetzgebung und deren Motive werden nicht mehr thematisiert.

Weniger harmlos ist die inzwischen hoffähig gewordene Diffamierung von Gerichten. Vor allem die Rechtsparteien sehen Recht und Gerichtswesen als Knetmasse der Politik. Man ist weit von Immanuel Kants Diktum (in „Ewiger Friede“) entfernt, dass die Politik das Knie vor dem Recht der Menschen beugen müsse. Nicht nur D. Trump macht vor, dass man vor Gerichten, vor denen jemand steht, keinen Respekt haben muss. Staatsanwälten und Richtern wird gedroht, ihre Amtsausübung wird als politisch motiviert diskreditiert.

Nun ist das US-amerikanische Rechts- und Gerichtswesen durchaus speziell, es unterscheidet sich vom europäischen, aber auch in Europa nimmt der Respekt selbst vor den Höchst- und Verfassungsgerichten ab. Wie PiS-Polen bewiesen hat, folgt der aggressiven Rhetorik schnell die gesetzgeberische Tat. Regulative Ideale, die eigentlich durch die Verfassung abgesichert sein sollten, werden nicht mehr anerkannt, obwohl ohne solche die formal demokratische parlamentarische Gesetzgebung durch eine Mehrheit dem Sinn von Demokratie Hohn spricht.

Das Völkerrecht wird nicht mehr nur von Diktatoren infrage gestellt, missachtet und ausgehebelt. Wen interessiert es eigentlich noch?

Der historische Prozess der Verrechtlichung

All dies und vieles mehr läuft dem Prozess der Verrechtlichung der Beziehungen zwischen Menschen und zwischen politischen Gemeinwesen entgegen, der mit der Gründung von Universitäten im Hochmittelalter begann. Voraussetzung alles Weiteren wurde die professionelle Beschäftigung mit „dem Recht“ – auf der Grundlage des Römischen Rechts, aber auch des Griechischen und des mittelalterlichen Kirchenrechts sowie des stark regional, wenn nicht lokal ausdifferenzierten Gewohnheitsrechts. Alle vier Rechtssphären hielten dem Menschen und seinen Beziehungen zuträgliche Rechtsprinzipien in eingängigen Formulierungen bereit, aus denen heraus sich nach und nach ein umfassendes Rechtssystem mit seinen Institutionen entwickelte.

Die Befriedung von Gesellschaft und politischem Gemeinwesen war zwar nie vollständig, aber sie schritt spürbar voran. Es kamen Rückschläge wie die Diktaturen des 20. Jahrhunderts, aber die Überzeugung, dass Recht befriedet, auch international, widerstand diesen und bestimmte nach 1945 bis um die Jahrtausendwende von 2000 die Rechtsentwicklung.

Vieles ist eine Folge dieser Befriedung durch Recht. Faire Wettbewerbsbedingungen, um etwas aufzugreifen, wofür die EU steht und wogegen aktuell die Lanze des „Bürokratieabbaus“ geführt wird, beruhen auf gemeinsamer europäischer (im Rahmen der WTO: globaler) Rechtssetzung. Unter „faire Bedingungen“ fällt längst viel mehr als vor einigen Jahrzehnten: Wer billig mit Kohle oder Gas produziert, schädigt die Umwelt und fördert den Klimawandel und profitiert von Kostenvorteilen, die andere nicht haben, weil sie mit erneuerbaren Energien produzieren. Wer Kinder für sich arbeiten lässt, produziert billiger als wer sich an menschenrechtliche Vorgaben hält. Wer verbotene Chemikalien für Textilien nutzt, produziert billiger als ein Betrieb, der sich an die Umweltauflagen hält. Und so fort.

Massive Deregulierung, das heißt Abschaffung rechtlicher Regelungen, führt nur zu Verzerrungen, erschwert nachhaltiges Produzieren und schadet letztlich allen Menschen. Es muss also sehr präzise bestimmt werden, was genau an den vermeintlich bürokratischen Regelungen entbehrlich ist. Oft stellt sich dann heraus, dass nicht die Bürokratie an sich der Fehler ist, sondern dass sich das nach und nach entstandene Wissen um die Komplexität jeden Wirtschaftens, wenn man Mensch und Natur einbezieht, in Gestalt „bürokratischer Regelungen“, also rechtlicher Regelungen ausdrückt.

Unter den entbehrlichen Regelungen werden gerne Dokumentationspflichten genannt, die zum Teil mühsam und zeitaufwendig, also teuer sind. Man könnte argumentieren, es wäre gut, wieder mehr Vertrauen wirken zu lassen und sich mit Kontrollstichproben zufrieden zu geben – doch wie sollen die vor sich gehen, wen nichts dokumentiert wird?

Was an der Diskussion stört, ist die Haudrauf-Rhetorik, die eher dafür spricht, dass auf eine Ellbogenwirtschaft gesetzt wird, wo sich „der Stärkere“ durchsetzt. Hat nicht Zuckerberg (der vor einiger Zeit den Kampfsport für sich entdeckt hat – nach eigenem Bekunden) vor wenigen Tagen (10.1.2025) in einem Podcast-Interview das Hohe Lied des Maskulinismus gesungen!? (Bericht Le Monde, 14.1.2025, S. 15)

Das Historischste an der EU ist ihre Orientierung am Recht, insoweit sie hier eine vor Jahrhunderten begonnene Weichenstellung konsequent weitergeführt hat. Der Druck, einen anderen Pfad einzuschlagen, auch in der internationalen Politik, wächst. So stellte vor ein paar Tagen der wiedergewählte kroatische Staatspräsident Zoran Milanović die Bedeutung von Menschenrechten als Maßstab und Orientierung in der internationalen Politik infrage. Orbán und Fico stört es scheinbar nicht, dass der Überfall auf die Ukraine gegen jegliches Völkerrecht verstößt, dass einige Hunderttausend Menschen dem Krieg zum Opfer gefallen sind, dass massive Kriegsverbrechen begangen werden. Jedenfalls reisten sie nach Moskau und schüttelten Putin die Hand. Auch beim BSW scheint nicht darüber nachgedacht zu werden, was der Zusammenhang zwischen Recht und Friede ist. Der ist unauflösbar. Friede kommt nicht zustande, wenn dem Schwächeren ein „Vertrag“ aufgezwungen wird, mit dem Unrecht zu Recht gemacht wird.

Darum geht es offenbar: Nicht-Recht oder Unrecht zu Recht.

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