Den Rassismus auf Abstand halten, ist auch in Corona-Zeiten eine Notwendigkeit.
Am 25. Mai 2020 wurde der unbewaffnete Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis von einem Polizisten vor laufender Kamera ermordet. Der jüngste Mord an einem Schwarzen durch einen Polizisten in den USA in einer langen Reihe.
Seitdem finden in den USA, in Kanada, in vielen europäischen Ländern Demonstrationen gegen Rassismus statt: „Black Lives Matter“ und „I can’t breathe“. Die Diskriminierung von Menschen mit dunkler Hautfarbe aus rassistischen Gründen durch die Polizei ist nicht nur ein US-amerikanischer Tatbestand, sondern auch in Europa Alltag.
Immer wieder, auch in Europa, kommt es dabei zu Todesfällen, die so gut wie nie aufgeklärt werden und wo es selten zur Bestrafung der beteiligten Polizisten kommt.
Eine pauschale Charakterisierung von Polizei als rassistisch ist nicht angebracht, dennoch muss jeder Fall aufgeklärt werden, es muss ein Gerichtsverfahren geben, am Schluss müssen erforderlichenfalls Verurteilungen stehen.
Es gibt viele wichtige Gründe, jetzt zu demonstrieren – und nicht erst in ein paar Monaten, wenn die Covid-19-Gefahr vielleicht gebannt ist. Jetzt muss sich etwas ändern, nicht nur in den USA.
Dennoch untersagte die Präfektur von Paris eine Demonstration gegen Polizeigewalt, die für den 2. Juni 2020 beantragt worden war. Die Demonstration fand trotzdem statt, mit Tausenden von Teilnehmer*innen.
In Wien demonstrierten am 4. Juni 2020 rund 50.000 Menschen, in anderen österreichischen Städten waren es ebenfalls viele Tausende, die Demonstrationen gingen am Wochenende weiter.
Die österreichische Politik bemängelte eigentlich nur, dass die Demonstrant*innen den Sicherheitsabstand nicht eingehalten hätten, der zur Verringerung der Corona-Infektionsgefahr gilt. Dass auch in Österreich rassistische Diskriminierungen an der Tagesordnung sind und dass es jetzt darum geht, Veränderungen in der Einstellung zu erreichen, wird nicht pro-aktiv aufgegriffen.
Stattdessen ruft Gesundheitsminister Anschober für den 8. Juni 2020 zu einem runden Tisch. Zwei Nachrichten des ORF seien wörtlich zitiert (8.6.2020):
„Nach der Anti-Rassismus-Großdemonstration mit 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Wien hat Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) heute zu einem Runden Tisch geladen. Er will mit Vertretern der Stadt Wien, der Wiener Exekutive, der Gesundheitsbehörde und der Veranstalter zum Thema Gesundheitsschutz beraten, weil die Abstandsregeln am Donnerstag nicht eingehalten wurden.
Die FPÖ will unterdessen Strafanzeigen gegen jene Politiker prüfen, die an den Anti-Rassismus-Demonstrationen der vergangenen Tage teilgenommen haben. Dies teilte FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz gestern mit.”
Es ist nichts dagegen einzuwenden, zu besprechen, wie auch bei großen Demonstrationen Abstand eingehalten werden kann, gleichwohl lautet die augenblickliche Priorität sicher „Den Rassismus auf Abstand halten!“ Diese Priorität muss auch im politischen Diskurs der Regierungen (nicht nur der österreichischen) zum Ausdruck kommen.
Nichtdiskriminierung ist eine der Grundlagen der EU-Rechtskultur. Das darf nicht hinter berechtigten Sorgen, es könnte eine zweite Corona-Ansteckungswelle geben, zurücktreten. Es geht kein Weg daran vorbei zu lernen, das Recht auf Nichtdiskriminierung auch in Krisenzeiten, gleich in welcher Krise, offensiv zu verteidigen. Die andere große Krise, die Klimakrise, ist schon eine Weile da und sie wird sich verschärfen. Trotzdem sind die Menschenrechte zu sichern. Das ist leider kein Selbstläufer, sondern muss gelernt wie anderes auch. Jetzt ist Gelegenheit zu lernen.
Was war die Reaktion des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama? In einer Videobotschaft dankte er allen, die auf die Straße gingen und betonte, dass jetzt der Moment sei, etwas in Bewegung zu bringen und zu verändern. Er erinnerte daran, dass die Vereinigten Staaten von Amerika Resultat eines Protestes gewesen seien, den man üblicherweise „Amerikanische Revolution“ nenne.
So bei speispielhaft die Reaktion Barack Obamas gewesen sein mag, ist sie, denke ich, dennoch kein hier anwendbares Beispiel. Denn während die USA längste Zeit Weltmeister im Ignonieren des Corona-Problems waren und viele Menschen dafür bitter büßen mussten, wurde das Thema in der EU im allgemeinen und in Österreich im besonderen recht früh addressiert. D.h. die jeweiligen Reaktionen auf Rassismus und Demonstrationen dagegen sind eher dem Corona-Zugang der jeweiligen Länder geschuldet. Rudolf Anschober hat bei einigen Gelegenheiten klar gemacht, dass er mit Rassismus nichts am Hut hat und als Gesundheitsminister ist es nun einmal seine klare Zuständigkeit, sich als erstes über u.a. öffentliche Gesundheit den Kopf zu zerbrechen.