Am 7. Juni 2020 stürzten im Kontext einer Black Lives Matter-Demonstration in Bristol vier junge Leute die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston (1636-1721) vom Sockel. Am 5. Januar 2022 wurden sie nun in Bristol vom Vorwurf einer Straftat freigesprochen. Colston war (und ist) in Bristol mehr oder weniger allgegenwärtig.
Die Meinungen zum Vorgang selber und zum Freispruch sind in Großbritannien klarerweise geteilt. Das Problem, das solche Statuen aufwerfen, ist genereller Natur, ebenso der Umstand, dass es nach wie vor zahlreiche Menschen gibt, die am Kolonialismus und dem Sklavenhandel nichts oder wenig auszusetzen finden.
Spontan erinnert man sich an den früheren französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der einen positiven Blick auf den französischen Kolonialismus dessen umfassender Kritik vorzog. Der aktuelle Präsident Emmanuel Macron hingegen hat sich Kritik am Kolonialismus seines Landes zu eigen gemacht und bereits zahlreiche Schritte eingeleitet, um insbesondere staatliches Unrecht, etwa in Bezug auf Algerien, öffentlich zu bekennen oder um geraubte Objekte (Benin) zurückzugeben. Dazu hat er Kommissionen eingesetzt und sich bei Expert*innen Rat geholt.
Dies ist der richtige Weg, aber die Kontroversen sind in Frankreich nicht weniger scharf als im Vereinigten Königreich oder jedem anderen europäischen Land, das Kolonialmacht gewesen war.
Ich lese zur Zeit in den Essays und Vorträgen von Rabindranath Tagore (1861-1941), dem Literaturnobelpreisträger von 1913. In schonungsloser Klarheit legte er den menschenverachtenden europäischen Geist des Kolonialismus dar, der in die Praxis umgesetzt wurde. Nicht anders André Gide in seinen Tagebüchern zur Reise 1925-1926 in Äquatorialafrika. Der indische und der französische Schriftsteller hielten den Europäern den Spiegel vor – und es ist unumgänglich, heute weiter in diesen Spiegel zu schauen.
Der Kolonialismus lässt sich weder rückabwickeln noch lässt sich etwas gutmachen. Was sich aber tun lässt, ist die ehrliche Kritik und Benennung der unzähligen Verbrechen, des Rassismus, der Menschenverachtung, der Versklavung von Millionen von Menschen, der Morde, der Genozide.
Was sich tun lässt, ist die Rückgabe von Objekten, begleitet von kultureller und touristischer Kooperation mit den Ländern.
Was sich tun lässt, ist die Beseitigung von Denkmälern wie die eines Colston aus dem öffentlichen Raum. Sie gehören kritisch aufbereitet in Museen – sie werden also nicht einfach verschwiegen.
Was sich tun lässt, ist die Entkolonialisierung des Denkens mithilfe offener Debatten, in denen den Verteidiger*innen des Kolonialismus Argumente, nicht aber Rede- oder Meinungsverbote entgegengehalten werden.
Was sich tun lässt, ist mit der Fiktion, es habe eine europäische mission civilisatrice gegeben, endlich aufzuhören. Denn die scheint immer wieder auf, auch in Bezug auf die Jetztzeit. Kann zum Beispiel der EU-Green-Deal nicht einfach umgesetzt werden, weil er nötig und richtig ist – muss er gleich wieder der Welt ein anführendes Beispiel geben?