Österreich: Wiederwahl Alexander Van der Bellens als Bundespräsident
In Österreich wurde der bisherige Bundespräsident Alexander Van der Bellen am 9. Oktober 2022 gleich im ersten Wahlgang wiedergewählt. Dies sorgt für Stabilität in diesem EU-Land. In den Wochen vor der Wahl war es – endlich! – ein Thema, dass viele Menschen, die in Österreich leben und arbeiten, nicht wahlberechtigt sind. Das Thema ist weder in Österreich noch in anderen Ländern neu, aber es wird endlich zu einem öffentlich angesprochenen Thema. Ernsthaft tun wird sich wahrscheinlich aber nichts.
Ein anderes Thema war der Umstand, dass es nur 6.000 Unterschriften von Wahlberechtigten braucht, um als Kandidat*in zur Bundespräsident*innenwahl zugelassen zu werden. Nachdem die Volkspartei (ÖVP) und die Sozialdemokratie (SPÖ) auf eigene Kandidat*innen verzichtet hatten, während die Freien Demokraten (FPÖ) einen Kandidaten aufstellten, ergaben sich eher gemischte Gefühle und Meinungen angesichts der Männerriege, die sich zur Wahl stellte. Das Amt ist wichtig, nach innen und nach außen. Es ist zu schade für Profilierungsaktionen, deren Zweck und Ziel nicht offen ausgesprochen wurde.
Europäische Politische Gemeinschaft
Wenige Tage vor dieser Wahl fand erstmals eine europäische Versammlung unter dem Label „Europäische Politische Gemeinschaft“ (EPG) statt. An ihr nahmen 44 europäische Staaten teil, die Staats- und Regierungschefs trafen sich in Prag. Die Russische Föderation und Belarus waren nicht eingeladen.
Diese EPG geht auf einen Vorschlag des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zurück, den er im Frühjahr 2022 machte. Eine EPG wurde aber schon mehrmals angedacht, sie gehört im Grunde zu den Kernelementen historischer Europapläne.
Beschlüsse wurden nicht gefasst, es sollte miteinander geredet werden. Das ist viel, wenn man daran denkt, dass zwischen Aserbaidschan und Armenien faktisch Krieg herrscht, in der die Türkei Partei ist. Macron brachte Armenien und Aserbaidschan an einen Tisch. Das beendet den Krieg nicht, aber kann vielleicht helfen, eine Gesprächsbasis aufzubauen. Die EU wird eine „zivile Mission“ in das Grenzgebiet zwischen Armenien und Aserbaidschan entsenden, um den Vertrauensaufbau zu unterstützen.
Die EPG macht erst einmal Hoffnung auf mehr. Sie ist ein Zeichen, dass die europäischen Staaten, die (noch) nicht zur EU gehören, zusammen mit der EU Europa bilden und gegen Putin und Lukaschenko zusammenstehen.
Die Türkei und das Vereinigte Königreich waren mit dabei. Beide Staaten sind in den vergangenen Jahren durch ihre Extratouren aufgefallen, die ein gedeihliches Miteinander in Europa erschwert haben. Dasselbe trifft freilich auch auf Ungarn unter V. Orban zu. Besserung ist hier nicht in Sicht.
Dennoch: Das ist schon was, dass „alle“ da waren, mehr freilich nicht. Die nächsten Treffen sind im Halbjahresrhythmus geplant, es wird aber kaum bei unverbindlichen Gesprächsrunden bleiben können.
Wahlsiege nationalpopulistischer Parteien
Im Sommer und Frühherbst erlangten in Schweden und Italien die nationalpopulistischen Parteien „Schwedendemokraten“ und „Fratelli d’Italia“ erhebliche Stimmenzuwächse. In Schweden wird die künftige konservative, nach wie vor aber nicht gebildete, Regierung von den Schwedendemokraten abhängig sein. Vermutlich wird es eine Duldungsvereinbarung geben, keine direkte Regierungsbeteiligung.
In Italien sind die Postfaschisten stärkste Partei geworden, die Parteichefin der Fratelli d’Italia, Georgia Meloni, wird recht wahrscheinlich Regierungschefin werden – sofern sich die drei nationalpopulistischen Parteien (neben den Fratelli die Lega von M. Salvini und die Forza d’Italia von Berlusconi) einigen.
Nicht vergessen werden darf der Rassemblement National (RN) in Frankreich: Nicht nur kam Marine Le Pen erneut in die Stichwahl bei den Präsident*innenwahlen dieses Jahr, sondern ihre Partei hat bei den anschließenden Parlamentswahlen erstmals eine nennenswerte Zahl an Abgeordneten (über 80) erreicht. Die „Dediabolisierung“, wie es in Frankreich genannt wird, des RN schreitet voran und er zieht, ohne dass er seinen Nationalismus aufgeben müsste, immer mehr Wähler*innen an.
Die politische Mitte hat in Frankreich in den letzten Jahre verloren, sie war morbide geworden, sodass Macron sie auflösen konnte. Das hat zwar zweimal womöglich eine Präsidentin Marine Le Pen verhindert, aber die Sorge, was nach Macron sein wird, ist groß. Die traditionell starken Parteien, die Sozialisten und die Ex-Gaullisten, sind in der Nationalversammlung inzwischen Kleinparteien. Gestärkt wurden die linken und rechten radikalen Ränder.
In Deutschland hat die AfD bei niedersächsischen Landtagswahlen dazu gewonnen, knapp auf 11%, nachdem sie zuletzt bei Wahlen verloren hatte.
Fazit: Das Potenzial der Nationalpopulisten (AfD) ist in Deutschland viel kleiner als in Schweden, Frankreich und Italien. In Österreich liegt die FPÖ wieder bei rund 20%, auch wenn ihr Präsidentschaftskandidat (Walter Rosenkranz) das nicht ganz ausschöpfen konnte.
Das ist aber nicht alles. Die Fidesz in Ungarn hat sich unter Orban zu einer undemokratischen Partei entwickelt, die PiS in Polen huldigt einem rechtsautoritären Staatsverständnis. Schließlich die Tories im Vereinigten Königreich: Es handelt sich nicht mehr um eine konventionelle konservative Partei, dafür weist sie zuviele rechtsradikale Züge auf. Diese Parteinen regieren und werden den künftigen Regierungen in Italien und Schweden „Gesellschaft“ leisten.
Alle diese Parteien teilen die Neigung, gegen Flüchtlinge zu hetzen. Sie sind nicht patriotisch, sondern nationalistisch, mit starken Anleihen bei den Identitären. Ihre sicherheitspolitischen Rezepte enden dort, wo toxisch-männliches Draufhauen versagt (das tut es immer) und intelligente rechtsstaatliche Vorgehensweisen gefragt sind. Und solche sind immer gefragt, alles andere gefährdet die Sicherheit.
Einig sind sich diese Parteien darin, dass sie den Staat als Parteiorgan interpretieren, was nicht zuletzt bedeutet, dass erhebliche Staatsressourcen an Personen aus diesen Parteien und ihren Beziehungsnetzwerken fließen.
Bei den wirtschaftspolitischen Konzepten einigt allgemeine Inkompetenz diese Parteien, aber sie verfolgen keine einheitliche Linie. Im günstigsten Fall sind sie fantasielos und machen das, was andere Parteien auch machen. Die anti-Euro- und anti-EU-Rhetorik vergangener Jahre wurde zurückgefahren, aber die Übertragung des Trump’schen „America first!“ auf das jeweils eigene Land („Italien zuerst!“ – usw.) höhlt die Europäische Integration aus.
Der Krieg gegen die Ukraine
Putin und die anderen für den Krieg gegen die Ukraine Verantwortlichen radikalisieren sich angesichts einer im Kern verrotteten russischen Armee. Man darf sich keinen Illusionen hingeben. Russland wird seine hybride Kriegsführung gegen europäische Staaten und deren Infrastruktur massiv ausweiten. Putin wird zu taktischen Atomwaffen greifen. Die russische Bevölkerung wird nicht selber das Regime stürzen.
Die europäischen Staaten täten gut daran, sich um all diese Bedrohungen zu kümmern. Stattdessen spielen sie weiterhin Kindergarten und zeigen mit dem Finger aufeinander, obwohl im Grunde alle sich in der Vergangenheit auf einseitige Abhängigkeiten eingelassen haben. Deutschland zu sehr auf russisches Gas; nicht anders Österreich und Italien und Ungarn; Frankreich zu sehr auf Atomkraft, die Hälfte der Meiler kann nicht; Schweden zu sehr auf Wasserkraft, so etwas wie Erderwärmung und ihre Folgen wurde nicht einkalkuliert. Es ist müßig, das weiter aufzuzählen.
Unser Leben wird sich gravierend ändern, es geht nicht nur ums wärmer anziehen und kürzer duschen. Sich darauf mental einzustellen, ist nötig.