Politische Äußerungen zum Thema „Frieden für die Ukraine“ gib es in großen Mengen, von Trump über den Papst bis Mützenich. Der eine weiß angeblich, wie man den Krieg in 24 Stunden beendet, der andere empfiehlt ein Einfrieren, der dritte will die weiße Fahne durch das Land gehisst sehen, das überfallen wurde und vernichtet werden soll. Dazwischen gibt es viele Positionen, doch was konkret getan werden soll, sagt niemand. Die drei erwähnten Meinungsäußerungen sind entweder zynisch oder albern, aber andere Äußerungen sind keineswegs substanzieller.
Nichts davon wird der Situation gerecht.
In der Ukraine fordern die Angriffe der Russischen Föderation täglich Menschenleben, in den Städten und Dörfern und an den Fronten. Lebensgrundlagen werden vernichtet, Infrastruktur zerstört, bevorzugt werden zivile Einrichtungen angegriffen. Nichts von all dem, was derzeit politisch zum Thema Frieden verlautbart wird, wird der Situation gerecht, sondern vermittelt vielmehr den Eindruck des Zynismus. Wer nichts wirklich Praktikables beisteuern kann, sollte lieber schweigen und währenddessen sich sachkundiger machen.
Der Gang der Europäischen Integration sollte uns die Augen dafür geöffnet haben, was Frieden in der Praxis bedeutet. Ohne Rechtsstaatlichkeit und eine länderübergreifende wertebasierte Rechtsordnung ist Frieden nicht realisierbar. Ohne einen starken institutionellen Schutz von Recht und Rechtsordnung durch die unabhängige Justiz gibt es keinen Frieden. Nirgendwo in der Welt ist dieser Schutz so umfassend ausgebaut worden, wie in der EU, nicht einmal in den USA.
Das schwebt nicht in der freien Luft, sondern ruht auf dem Sozialstaat auf. Und beides wird nur durch die Demokratie gewährleistet. Trotz aller Defizite, die sich hier notieren lassen, kommt das, was mittels der Europäischen Integration aufgebaut wurde, am ehesten dem Frieden genannten Zustand nahe. Dabei spielt eine große Rolle, dass die EU bzw. ihre Vorgängerorganisationen internationales Recht mitgeschaffen haben und dieses respektieren.
Die Ukraine arbeitet daran, die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern und die Rechtsordnung den EU-Standards anzupassen. Das Ziel des EU-Beitritts wirkt, die Ukraine will es auf dem einzig richtigen Weg erreichen – der umfassenden Implementierung des Rechtsstaatsprinzips, der wertebasierten Rechtsordnung und eines unabhängigen Justizwesens, das dieses Fundament wirksam schützt. Trotz Krieg wird an der ukrainischen Demokratie gearbeitet. Das Land ordnet sich außerdem mit einiger Konsequenz in die internationale Rechtsordnung ein.
Das Regime der Russischen Föderation will nichts dergleichen, weder für das eigene Land, noch für die Ukraine noch für die Staatengemeinschaft der UN, der die Russische Föderation angehört und deren Charta es missachtet.
Solange nur eine Kriegspartei, die Ukraine, weiß, was Frieden in der Praxis bedeutet, und die andere, die Russische Föderation, dies nicht weiß, weil es keinerlei Tradition in dieser Beziehung und schon gar keinen politischen Willen dazu gibt, ist die politisch-offizielle Anpreisung von einfachen „Lösungen“ der reine Zynismus.
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die Russische Föderation besinnen und aus sich selbst heraus reformieren würde oder könnte. Das wäre aber nötig, wenn Friedensdiplomatie Erfolg haben können soll. Es muss zumindest eine Chance erkennbar sein, dass all das, was Frieden tatsächlich ausmacht, auch in der Russischen Föderation selber zum Ziel wird.
Der Friedenszustand namens EU war nur erreichbar, weil es nach dem Zweiten Weltkrieg und trotz Kalten Kriegs über die Blöcke hinweg ein gemeinsames Grundverständnis davon gab, was Frieden in der Praxis ausmacht. In der KSZE-Schlussakte von 1975 lautet das Code-Wort für Frieden „Zusammenarbeit“. Es kommt in dem Dokument über 200 mal vor und eröffnet über 200 Perspektiven, wie in der Praxis Friede aussieht. Nicht nur die deutsche Sozialdemokratie könnte sich darauf besinnen, wie groß ihr Anteil am Zustandekommen und am Erfolg des KSZE-Prozesses gewesen ist.
Nur ein der KSZE-Schlussakte vergleichbares Abkommen könnte zu einem dauerhaften Frieden führen – wozu die Russische Föderation nicht bereit ist. Da sie immer noch Mitglied der OSZE ist, die aus der KSZE hervorgegangen ist, müsste sie sich ja nur an dem Fundament der OSZE, nämlich der Helsinki-Schlussakte, orientieren, was sie, wie allseitig bekannt ist, nicht tut.
Es ist zu befürchten, dass einige Regierungen von EU-Mitgliedsländern tatsächlich immer noch nicht verstanden haben, dass „das Richtige für die Ukraine tun“ ident ist mit „das Richtige für die EU tun“. Äußerungen wie die des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag lassen befürchten, dass sich diese Einsicht nicht durchgesetzt hat. Die Antwort auf die Frage, die ich im Blogeintrag zum zweiten Jahrestags des Kriegsbeginns gestellt habe, ob die EU nach zwei Jahren Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine nun eine Strategie habe, lautet eindeutig nein.