[1] Martin Schulz wurde heute mit 100% (608 abgegebene Stimmen, 3 ungültige, 605 Ja-Stimmen) zum neuen Vorsitzenden der SPD gewählt und ist nun der Herausforderer der amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel.
[2] Schulz hat rund eine Dreiviertelstunde gesprochen. Er hat seine Fähigkeit, als Redner mitzureißen, erneut unter Beweis gestellt. Aber das wäre nichts wert, wenn es keine inhaltliche Substanz gäbe.
[3] Diese Substanz gibt es, und zwar in einer Dichte, wie man sie von deutschen PolitikerInnen beinahe nicht mehr gewöhnt ist.
[4] Schulz hat den Zusammenhang zwischen gedeihender Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt herausgearbeitet und das Ziel von mehr sozialer Gerechtigkeit damit verknüpft. Für den Zusammenhalt bedarf es des gegenseitigen Respekts und des Bewusstseins um die Würde des anderen.
[5] Damit wird auch ein für jede Gesellschaft entscheidendes Verhältnis klargestellt: Der emotionale Haushalt einer Gesellschaft und „Gesetzgebung für die Menschen“ als Resultat politischen und parlamentarischen Handelns müssen sich entsprechen. Martin Schulz kann Menschen anrühren und bewirken, dass die soziale Zustimmungsbasis für die Finanzierung von sozialer Gerechtigkeit wieder wächst.
[6] Schulz hat das Wort „Sozialphilosophie“ nicht benutzt, aber seine Rede ließ deutlich erkennen, dass er weiß, was das ist, dass er eine hat und dass er danach handeln wird. Es wäre gut, wenn Sozialpolitik wieder auf Sozialphilosophie gegründet würde.
[7] Vom ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments ist zu erwarten, dass er der Europäer bleibt, der er bis vor kurzem gewesen ist. Diese Erwartung hat seine Rede auf dem SPD-Sonderparteitag voll und ganz erfüllt.
[8] Wie sein Vorredner Sigmar Gabriel, der sich mit einer engagierten und launigen Rede vom Amt des Parteivorsitzenden verabschiedete und vermutlich durch seinen „Coup“, an seiner Stelle Martin Schulz als Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten der SPD zum Zuge kommen zu lassen, alle Schwächen seiner vorigen Amtszeiten ausgeglichen hat, stellte sich Schulz aus historischen und idealistischen Gründen uneingeschränkt hinter das europäische Projekt und die EU.
[9] Er stellte klar, was Deutschland dem Nachkriegsprojekt Europa verdankt, nämlich alles. So ist es.
[10] Unmissverständlich, knapp und präzise analysierte er die im Kern antidemokratische Ideologie der AfD und anderer Rechtsparteien in Europa, des amerikanischen und des türkischen Präsidenten und rief seine Partei zur Verteidigung der Demokratie auf. Schulz wie Gabriel banden dies an die mehr als 150jährige Geschichte der SPD zurück. SPD-Mitglieder wissen nun wieder, wofür sie stehen und dass im Jahre 2017 die Verteidigung der Demokratie wieder eine historische Aufgabe geworden ist.
[11] Das sollten auch die Mitglieder der anderen Parteien wissen und sich genauso eindeutig positionieren wie es Martin Schulz heute für sich persönlich und für seine Partei getan hat.
[12] Martin Schulz ist im Lauf seines Lebens, seiner Höhen und Tiefen, seiner Ämter, seiner Begegnungen, seiner Erfahrungen zu Überzeugungen gekommen. Sie sind durch das Leben erarbeitet, nicht angelesen oder taktisch gewählt. in einem Wort: Der Kanzlerkandidat der SPD ist ein authentischer Mensch.
[13] Dasselbe gilt für Angela Merkel. Man möchte sagen: „Glückliches Deutschland!“, was hast Du für eine Wahl! Jedenfalls, wenn man in andere europäische Länder schaut.