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Mein Europa – Entwurf zu einer Praxeologie (II)

Europa in Niederösterreich
Datum: 01 Feb 2018
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Europabegriff, Mein Europa, Praxeologie
Kommentare: Comments are off

Europa: Bedeutungen

[1] Der Ausdruck „Mein Europa“ verweist von vorneherein auf einen subjektiven Europabegriff, der freilich selten außerhalb sozialer Objektivationen steht. Bevor ein subjektiver Europabegriff ausgebildet wird, bedarf es entsprechender Erfahrungen mit Europa. Während diese Erfahrungen gemacht werden, wird auch der bereits vorhandene Europabegriff einer Neuverhandlung ausgesetzt, bei der die individuelle Erfahrung des gelebten Europas eine wichtige Rolle spielt. Dabei präzisiert sich ein aus sozialen Diskursen, aus dem Schulunterricht, aus der Literatur, aus den Medien oder aus politischen Diskursen bekannter gängiger Europabegriff.

[2] Die gängigen Bedeutungen von Europa sind ohnehin vielfältig. Geografie, Politik (EU), gemeinsame Geschichte und Kultur spielen dabei eine hervorragende Rolle. Letztlich bleiben sie aber vage. Wo die „geografischen Grenzen“ Europas gesehen werden, ist bis zu einem gewissen Grad willkürlich und entspricht eher Konventionen, die im jahrhundertelangen Kommunikationsprozess entstanden sind. Hier wird der individuellen Erfahrung breiter Raum gewährt. Wenn ich mich eher in einem begrenzten Teilraum Europas bewege, wird „mein Europa“ in einem kleinen Maßstab konkretisiert. Es gerät in eine gewisse Spannung mit dem gewussten größeren geografischen Europa.

[3] Bewege ich mich viel „außerhalb“ Europas, wird „mein Europa“ stark relativiert und bildet vielleicht nicht einmal mehr das Zentrum meines Erfahrungsraumes. Oft werde ich aber gerade da, „außerhalb“ Europas, zum Europäer oder zur Europäerin gemacht.

[4] Der politische Begriff von Europa hat sich zunehmend auf die Europäische Union verengt. „Verengt“ ist relativ, aber die 28 (27 ohne UK) Mitglieder kann man in Relation zu den 47 Mitgliedern des Europarates in Straßburg setzen, unter denen sich Russland und die Türkei befinden. Politisch bedeutet die EU aber ungleich mehr als der Europarat, sie bleibt für Beitrittskandidatenländer offen und attraktiv. Länder wie Norwegen und die Schweiz, die nicht Mitglied der EU sind, befinden sich in enger Verflechtung mit dem Europa der EU, und dies wird auch mit dem Vereinigten Königreich nach Vollzug des Brexit so sein.

[5] Das politische Europa ist faktisch ein Gestrüpp, weil sich die politisch-geografischen Räume, die mit der Mitgliedschaft in verschiedenen Zusammenschlüssen entstehen, vielfach überschneiden, aber neben Schnittmengen auch Peripherien ausbilden. NATO und OSZE reichen über Europa hinaus, während die Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn), deren schwach ausgeprägte Kooperationsstruktur mit anderen Zusammenschlüssen keinesfalls vergleichbar ist, lediglich einen mittel- bzw. ostmitteleuropäischen Teilraum ausmachen.

[6] Inwieweit „Mein Europa“ ein politisches ist, hängt von vielen Faktoren ab. Objektiv hat die EU gründliche Auswirkungen auf alle Europäerinnen und Europäer, auch dann, wenn sie in einem Land leben, das (noch) nicht zur EU gehört. Aber ob ich mich für solche objektiv gegebenen Umstände interessiere und mich mit ihnen auseinandersetze, ist eben eine sehr individuelle Angelegenheit. So wird es kaum Zufall sein, dass ein Teil der ohnehin bisher nicht sehr zahlreichen Bücher zu „Mein Europa“ von bzw. mit Politikern verfasst wurde oder von AutorInnen, die sich berufsmäßig mit Europa bzw. der EU befassen.

[7] Der kulturelle und der historische Europabegriff hängen meistens eng aneinander und werden kaum getrennt. Kultur kann wie das geografische Europa am ehesten sinnlich erfahren werden. Der Kulturtourismus blüht, es wird viel zum Erhalt des materiellen kulturellen Erbes getan, das sich im öffentlichen Raum oder Museen etc. sehr gut präsentieren lässt.

[8] Zur Begegnung mit dem kulturellen Erbe, sei es ein ganzes historisches Stadtzentrum wie Florenz oder ein einzelnes Objekt, gehört die Vermittlung einiger historischer Informationen zumeist dazu. Die Kombination aus Raum und materiellem Kulturerbe mit historischen Informationen macht Geschichte bis zu einem gewissen Grad erfahrbar. Ich erfahre Geschichte an solchen Orten, ob ich das bewusst anstrebe oder nicht.

[9] „Geschichte in Europa“ wird insoweit nicht nur in der Schule oder anderswo gelernt, sondern beinahe unvermeidlich praktisch erfahren, weil der europäische öffentliche Raum mit materiellen Kulturgütern kleineren und größeren Ausmaßes geradezu vollgestopft ist. Kein Schritt kann getan werden, ohne dass der Boden unter den Füßen historisch wäre. Das gilt ja auch für das, was man gerne als „Natur“ bezeichnet, denn die europäischen Naturlandschaften sind fast vollständig Resultat kultureller Gestaltung durch den Menschen.

[10] Bewusst habe ich von Geschichte in Europa geschrieben. Geschichte Europas ist noch einmal etwas anderes, das liegt auf der Hand. Nicht jede Geschichte in Europa ist zugleich Geschichte Europas oder Europas Geschichte. Für Letzteres braucht es über den lokalen oder regionalen Raum hinausgehende Verflechtungen und Auswirkungen. Damit beschäftigt sich die Europahistoriografie und dafür muss sie immer neu definieren, welches das Europa ist, um dessen Geschichte es gehen soll.

[11] Während ich Orte des materiellen europäischen Kulturerbes relativ leicht überall besuchen und erfahren kann, muss ich, um Geschichte Europas zu besuchen oder zu erfahren, entweder zu ganz bestimmten symbolischen Orten reisen oder mindestens europäische Teilräume im Zusammenhang bereisen oder durchwandern und dabei eine Art Raster der Geschichte Europas im Kopf haben, um hier ein „Mein Europa“ auszubilden.

[12] Es macht keinen Sinn, darum herumzureden, dass dies bis zu einem gewissen Grad anspruchsvoll ist. „Mein Europa“ kann durchaus gewissermaßen nebenbei eine historische Dimension erhalten, wenn ich mich für das kulturelle materielle und geistige Erbe mindestens ein wenig und mit einiger Kontinuität interessiere. Soll diese historische Dimension des „Mein Europa“ aber die Geschichte Europas oder Europas Geschichte sein, erfordert das etwas mehr ausdrücklichen Willen.

Und warum soll man das wollen? Fortsetzung hier

Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):

Wolfgang Schmale: Mein Europa – Entwurf zu einer Praxeologie (Teil II). In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/ mein-europa-entwurf-zu-einer-praxeologie-2, Eintrag 01.02.2018 [Absatz Nr.].

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