logo
  • Home
  • Europa-Tagebuch
  • Digital Humanities
  • Europa-Bilder
  • Noch mehr Europa
    • Feuilleton
    • Urfassungen
    • Gastbeiträge
  • Über mich

Mein Haushalt voller europäischer Geschichte – Geschichte Europas anhand privater Gegenstände

Münzen, die Europas Geschichte erzählen
Datum: 25 Nov 2017
Von: Wolfgang Schmale
Tags: British Empire, Etat Français, Franco, Münzen, Pétain
Kommentare: Comments are off

II: Eine Handvoll Münzen

[1] Eine kleine Teebüchse aus Weißblech in Rot und Silber diente mir schon als Kind als Schatztruhe für Münzen. In der Länge misst sie 11,5 cm, in der Breite 4 cm und in der Höhe 6.5 cm. Sie enthält inzwischen einhundert Jahre Geschichte, das gesamte 20. Jahrhundert (und nicht nur das europäische). Sie hat die Jahrzehnte und viele Übersiedlungen unbeschadet überstanden, da sie stabil und praktisch war und sich immer noch ein Platz für ein weiteres Münz-Überbleibsel fand.

[2] 2001, im Jahr bevor der Euro eingeführt wurde, machte der Euro-Train in Österreich Werbung für die neue europäische Gemeinschaftswerbung. Der Zug kam auch nach Wien an den Westbahnhof, wo ich mir in der zweiten Dezemberhälfte 2001 ein Euro-Startkit kaufte – das ich nicht gesammelt, sondern im Jänner 2002 zum ersten Bezahlen mit dem Euro genutzt habe.

[3] Aus dem Schatzkästchen habe ich willkürlich zwölf Währungen ausgewählt und mir auf den zwölf Sternen der Europaflagge verteilt. Ergeben hat sich eine Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der Zufall also führte in das harmonische Sternenrund einige gar nicht harmonische Länder zusammen. Die Münzen sind allesamt stark abgegriffen und aus billigem Material.

 

 

Links Kg. George V als Kaiser v. Indien; Mitte: One Penny 1967; rechts: Deutsches Reich/Hamburg 1911

Links Kg. George V als Kaiser v. Indien; Mitte: One Penny 1967; rechts: Deutsches Reich/Hamburg 1911

[4] Einige Münzen verweisen auf vergangene Reiche – das Deutsche Reich und das British Empire. Beide Reiche gibt es nicht mehr, diese Art von Staatlichkeit ist vergangen. Aber der weiter existierende British Commonwealth evoziert natürlich das Empire, und liest man die Brexit-Reden der britischen Premierministerin Theresa May, so spürt man eine wunderliche Empire-Nostalgie.

[5] Das Deutsche Reich ist hingegen endgültig vergangen, aber es bleibt bzw. wurde wieder ein Anknüpfungspunkt: Nach der Wiedervereinigung zog der Bundestag nach Berlin in das Gebäude des ehemaligen Reichstags. Dieser wurde umgebaut und  mit einer begehbaren gläsernen Kuppel versehen, die den Blick nach innen ins Parlament gestattet. Es widerspricht dieser architektonischen Untermauerung der Deutschen Demokratie, dass in den Medien die Bezeichnung Reichstag beinahe die normale geworden ist. Ganz erloschen ist das „Reich“ aber auch in anderer Hinsicht nicht, denkt man an die „Reichsbürger“ und ihre tödlichen Umtriebe.

Frankreich 1941, 1947, 1948

Frankreich 1941, 1947, 1948

[6] Eine andere Münze stammt aus Frankreich, von 1942. Sie trägt die Prägung „Etat Français“ und die Devise des Pétain-Regimes „Travail – Famille – Patrie“. Ich nehme an, dass sie von meinem Vater stammt, der 1942 eingezogen wurde und im Herbst für wenige Tage in Rennes stationiert war. ‚Daneben‘ zwei weitere französische Münzen, nun aus 1947 und 1948, mit der Prägung „République Française“ mit der aus der Französischen Revolution stammenden Republiksdevise „Liberté – Égalité – Fraternité“ (auf der 2-Francs-Münze von 1948). Diese Münzen dürften von meiner Mutter kommen, die bald nach dem Krieg, als Reisen wieder erlaubt war, mit einer Freundin und zwei Freunden mit Fahrrad und Zelt eine große Frankreich-Tour unternahm. Die Münzen tragen keine Republik-Nummer, gehören aber in die 4. Republik, auch wenn nach Charles de Gaulles Ansicht die 3. Republik durch den Etat Français des Marschall Pétain nicht aufgelöst worden war.

[7] Eine weitere Republiksmünze stammt aus diesen Jahren: 2 Schilling, Republik Österreich, 1946. Auch diese Münze dürfte von meiner Mutter kommen, die in Salzburg ihre beste und österreichische Studienfreundin hatte, mit der sie im Krieg den Großglockner bestieg – und bis zum Lebensende in Verbindung blieb.

[7] Während hier also zwei Vorkriegs-Republiken nach Kriegsende wieder erstanden, führen andere Münzen in den werdenden Ostblock und in die Entstehung neuer diktatorischer Regime. Interessant ist die 1990 geprägte Münze der Tschechoslowakischen und – immer noch – Sozialistischen Republik (bis Frühjahr 1990). Nach einem Intermezzo als Tschechische und Slowakische Föderative Republik bis 1992 trennten sich die beiden Teile.

Lenin 1870-1970

Lenin 1870-1970

[8] Ins Auge sticht auch eine sowjetische Leninmünze, die 1970 zum 100. Geburtstag Lenins geprägt wurde. Dass sie mir jetzt wieder in die Hände fällt, passt zum Erinnerungsjahr an die Revolution von 1917 und die Zugreise Lenins quer durch Deutschland. Soweit die Revolution sozialrevolutionär gewesen war, hat der Putinismus im Jahr 2017 mit seiner Oligarchie das meiste rückabgewickelt und politisch lehnt dieser sich stark an das Zarenreich an.

[9] Und dann hat sich noch eine Luxemburgische Münze (1990) in den Haufen gemischt, noch vor Maastricht (Vertrag von Maastricht 1992), aber sie ist im Jahr 2000 im Zuge einer Europa-Exkursion mit Studierenden, die uns nach Straßburg, Brüssel und eben Luxemburg führte, in meine Hände gekommen. EU hat für mich viele positive Bezüge, aber sie steckt auch in der Krise.

[10] Diese Münzreise gleitet ein wenig ins Deprimierende ab, jedenfalls, wenn man an die Staaten denkt, die die Münzen ausgegeben haben. Auch eine allerletzte Münze aus dem Zufallshaufen macht die Sache nicht besser. Es ist eine türkische, die bei mir nach einer Kappadokienreise verblieben ist. Geprägt wurde sie 2005 – in jenem Jahr, in dem sich Erdoğan und die AKP als „lupenreine Demokraten“ gaben und die Beitrittsverhandlungen mit der EU starteten. Zwölf Jahre später wirkt das wie eine andere Zeit.

Spanien Franco 1941, 1966

Spanien Franco 1941 (mit Don Quichote), 1966

[11] Ach nein, es war ja nicht die letzte Münze, das sind noch drei – spanische. Eine von 1941 mit Don Quichote, eine mit dem Porträt des „Caudillo“ Franco, Führer von „Gottes Gnaden“ wie es da steht (1966), und die andere von 1975 mit dem Porträt König Juan Carlos‘. Francos offizieller Todestag war der 20. November 1975. Noch 1975 wurden die Weichen für den Umbau Spaniens zur Demokratie gestellt. Doch ist sie 2017 nicht sorgenfrei. Juan Carlos‘ Image nahm verschwommene Züge an, bevor er zurücktrat. Eine breite öffentliche Auseinandersetzung mit der Franko-Diktatur hat nie stattgefunden; nach den letzten Wahlen konnte keine Mehrheitsregierung, sondern nach langem Hin und Her nur eine Minderheitsregierung gebildet werden; und was Katalonien angeht, kann man nur hoffen, dass Besonnenheit zurückkehrt, die es braucht, um die spanische Verfassung zu modernisieren.

Kg. Juan Carlos 1975

Kg. Juan Carlos 1975

Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):

Wolfgang Schmale: Mein Haushalt voller europäischer Geschichte – Geschichte Europas anhand privater Gegenstände – II: Eine Handvoll Münzen. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/mein-haushalt-voller-europäischer-geschichte-2, Eintrag 25.11.2017 [Absatz Nr.].

Wie kann man mitmachen? Kontaktaufnahme bitte über die Kommentarfunktion des Blogs.

 

Teilen
  • google-share

Suche


Neueste Beiträge

  • Rentenreform in Frankreich: Funktioniert die französische Demokratie nicht mehr?
  • Unbehagen im Museum
  • Wir sind alle Ukraine
  • Europa 2022 – Eine Bilanz
  • Europa fährt Achterbahn und spielt weiter Kindergarten

Neueste Kommentare

  • Peter Nemschak bei The EU’s Geopolitical Hideout in Myanmar – Georg Bauer on Borrell’s blog post on Myanmar
  • Alexander Burstein bei Digitaler Humanismus – Lehren aus Covid-19
  • Gerhard Kaucic bei Theorie des Digitalen Zeitalters
  • Alexander Burstein bei Den Rassismus auf Abstand halten
  • Alexander Burstein bei Der EU-Gipfel 17. Juli bis 21. Juli 2020 – Pyrrhussieg oder zukunftsfähige EU? Jedenfalls kein historisches Datum…

Archiv

  • März 2023 (2)
  • Februar 2023 (1)
  • Dezember 2022 (1)
  • Oktober 2022 (1)
  • Juni 2022 (1)
  • Mai 2022 (1)
  • April 2022 (1)
  • März 2022 (1)
  • Februar 2022 (3)
  • Dezember 2021 (5)
  • November 2021 (3)
  • Oktober 2021 (2)
  • April 2021 (2)
  • Januar 2021 (1)
  • Dezember 2020 (3)
  • Oktober 2020 (3)
  • September 2020 (1)
  • August 2020 (1)
  • Juli 2020 (2)
  • Juni 2020 (1)
  • Mai 2020 (3)
  • April 2020 (2)
  • März 2020 (3)
  • Februar 2020 (2)
  • Januar 2020 (1)
  • Dezember 2019 (5)
  • November 2019 (1)
  • Oktober 2019 (1)
  • September 2019 (1)
  • August 2019 (2)
  • Juli 2019 (4)
  • Juni 2019 (1)
  • Mai 2019 (3)
  • April 2019 (3)
  • März 2019 (2)
  • Februar 2019 (2)
  • Januar 2019 (3)
  • Dezember 2018 (4)
  • November 2018 (2)
  • Oktober 2018 (2)
  • September 2018 (3)
  • August 2018 (2)
  • Juli 2018 (3)
  • Juni 2018 (5)
  • Mai 2018 (1)
  • April 2018 (1)
  • März 2018 (4)
  • Februar 2018 (5)
  • Januar 2018 (2)
  • Dezember 2017 (6)
  • November 2017 (3)
  • Oktober 2017 (3)
  • September 2017 (2)
  • August 2017 (2)
  • Juli 2017 (2)
  • Juni 2017 (2)
  • Mai 2017 (5)
  • April 2017 (2)
  • März 2017 (4)
  • Februar 2017 (4)
  • Januar 2017 (3)
  • Dezember 2016 (3)
  • November 2016 (3)
  • Oktober 2016 (3)
  • September 2016 (3)
  • August 2016 (3)
  • Juli 2016 (3)
  • Juni 2016 (3)
  • Mai 2016 (2)
  • April 2016 (4)
  • März 2016 (4)
  • Februar 2016 (4)
  • Januar 2016 (3)
  • Dezember 2015 (4)
  • November 2015 (4)
  • Oktober 2015 (5)
  • September 2015 (4)
  • August 2015 (3)
  • Juli 2015 (4)
  • Juni 2015 (4)
  • Mai 2015 (5)
  • April 2015 (4)

Schlagwörter

8. Mai 1945 18. Jahrhundert Antoine Vauchez Armenier Brexit Bundesverfassungsgericht Corona Covid-19 Democracy Demokratie; Digital Humanities EU EU enlargement Europa Europäische Identität Europäische Kultur Europäisches Kulturerbejahr 2018 europäische Solidarität Europäische Union Flüchtlinge Frankreich Genozid Geschichte Grexit Griechenland; Holocaust Kultur Martin Schulz Mein Europa Menschenrechte Narrative Nationalismus Osmanisches Reich Paris Philipp Ther Polen Praxeologie Solidarität; Staat Türkei Ungarn Vielfalt Warschau Western Balkans Wiener Kongress
RSS abonieren
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Links
Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Webdesign
www.media-solutions.at

© Wolfgang Schmale, Universität Wien
Cookie-Zustimmung verwalten
Um dir ein optimales Erlebnis zu bieten, verwenden wir Technologien wie Cookies, um Geräteinformationen zu speichern und/oder darauf zuzugreifen. Wenn du diesen Technologien zustimmst, können wir Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige IDs auf dieser Website verarbeiten. Wenn du deine Zustimmung nicht erteilst oder zurückziehst, können bestimmte Merkmale und Funktionen beeinträchtigt werden.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt. Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Optionen verwalten Dienste verwalten Anbieter verwalten Lese mehr über diese Zwecke
Einstellungen ansehen
{title} {title} {title}