Autor: Peter Heinrich von Wessenberg
Wenn Sie nicht der französischen oder der alemannischen Sprache mächtig sind, dann werden Sie ihn kaum verstehen – den Elsässer. Doch hat man die Gelegenheit auf Menschen zu treffen, die sich grenzüberschreitend zwischen der Schweiz, Deutschland und Frankreich hin und her bewegen und hat man auch das spezielle Vergnügen ein sogenanntes „Forum du Livre à Saint-Louis“, also eine Büchermesse an einem Grenzort Frankreichs zu besuchen. Da staunt man dann, wie rasch man sich in drei grundverschiedenen Sprachen verständigen kann. „Alemannisch“ das ist kein Zauberwort, sondern Faktum des Zusammenlebens der Bürger von Basel, Weil am Rhein und Huningue/Hüningen.
Treffen wir „Dr Granzganger – le travailleur frontalier – die Grenzgänger“ in ihrer fluktuierenden mäandrierenden Sprachheimat:
Es sind junge Journalisten wie etwa Jean-Christoph Meyer. Er ist Redakteur bei der L’Alsace.
Poeten und Lyriker – alt und jung – der ältere Albert Stickler ist Poet und Verleger, die junge Bénédicte Keck ist Kinderbuchautorin und Projektleitere – Chargée de mission beim Office pour la Langue et la Culture d’Alsace – Elsassisches Sprachàmt).
Edgar Zeidler schreibt „Elsässische Lektionen“ in der bereits genannten französischen Tageszeitung „L’Alsace“. Er ist promovierter Linguist, Verfasser der Elsässischen Orthographie/ORTHAL und Gründer der Académie pour une Graphie Alsacienne Transfrontalière.
Die Radio- und Fernsehmoderatorin Simone Morgenthaler veröffentlicht eine bilinguale Anthologie von Jacques Prévert, dem „französischsten“ aller Liedtexter: „Sini scheenschte Gedichtle uf Elsässisch“.
Für das Hörspiel „Ich ben a beese frau“ erhielt Pierre Kretz den von ZDF/ORF/SRF ausgelobten Mundarthörspiel-Preis 2017.
Und sie sind auch u.a. Kabarettisten, wie Martin Graff mit dem „Grenzkabarett-Cabaret frontière“ in deutschen und französischen Medien.
Sieben sehr verschiedene Persönlichkeiten aus dem Elsass können versichern: „C’est chic d’écrire en alsace!“
Edgar Zeidler’s neuestes Buch „Granzstein – Bornes – Grenzsteine“ ist im Drey-Verlag, einer Edition aus der Regio für die Regio. Dass der Verlagsort die Schwarzwaldgemeinde Gutach ist, passt ins Konzept. Die meisten der Autoren stammen aus dem Dreieck Straßburg-Basel-Konstanz, dem Dreyeckland, dem sich der Verlag auch grenzüberschreitend verpflichtet fühlt. Bei Zeidler lernen wir eine Kämpfernatur, einen zeitkritischen Dichter, einen Meister der Satire, einen speziellen Lyriker des „Dichterweges“ kennen.
Dichterwege gibt es mehrere im Elsass – auch von Zeidler mit iniitiert –, der neueste im Dreiländereck wurde vom schweizerischen Exdiplomaten Hans-Jörg Renk im Rahmen des Kulturvereins Elsass-Freunde Basel propagiert, verläuft am Rhein entlang von Basel bis Hüningen mit einer Brücke nach Deutschland. An bestimmten landschaftlich bemerkenswerten Stationen des Weges am Rheinufer sind Tafeln mit den Gedichten, laden zum Verweilen, Lesen und Nachdenken ein.
Der aus Sierentz, einer Gemeinde im Département Haut-Rhin/Oberrhein in der Region Grand Est im Elsass stammende Yves Bisch schreibt im Nachwort des Buches von Zeidler: „Das Originelle ist die Tatsache, dass es sich nicht um reine Übersetzungen der Gedichte handelt, sondern jedes Mal um ein eigenständiges Werk, wo die drei Sprachen des linguistischen Dreiklangs des Elsass auf denselben Sockel gestellt sind und es ihnen daher erlaubt ist, sich aneinander zu bereichern, statt sich gegenseitig auszuschließen.“
Der ehemalige französische Premierminister Manuel Valls sagte 2016: „En Alsace, il n’y pas de peuple!“ Der Dichter Edgar Zeidler verwertete diese ungeheuerliche Aussage in seinem alemannischen Gedicht „Brexit“:
„ S´Volk in Großbritannia hett sich brexitiert
s´Schottavolk fühlt sich nit involviert
in Ditschlànd isch´s hàlwer schockiert
im Frànkrich nitt gànz desintrassiart
ùn im Elsàss ? Im Elsàss gitt`s kè Volk!“
Was könnte denn am Alemannischen europäisch sein!? Vom österreichischen Vorarlberg zum Markgräflerland Baden-Württembergs und über etliche Jurahügel der Schweiz bis in den französisch/elsässischen Sundgau, spricht ein erklecklicher Anteil der Bevölkerung alemannisch. Dieser Fleckerlteppich der Sprachen ist ein europäisches Markenzeichen. Vom Historischen zum Alltag.
Doch es lauert die Gefahr der Xénophobie – herausbrechend von dem „Schlàjbauimbauier/Bricoleurs de barrières/Schlagbaumbauer (so in einem Gedicht von Edgar Zeidler). Dagegen stemmen sich die neuen Sprachartisten der Trinationale (Regio Basiliensis) am Rhein. Der junge elsässische Journalist Jean-Christoph Meyer zeigt das symbolisch mit dem Naturmythos in seinem Gedichteband „Liechtunge/Clairières“ in der Collection Fladdermüs von Les Éditions du Tourneciel. Es fließt Blut in den Adern und Wasseradern durchqueren die Wälder und Lichtungen von den Vogesen/F, dem Schwarzwald/D und dem Blauen/CH. Alles vermischt sich ohne Grenzen in Wirbeln und Strömungen der Vereinigung…. Ganz pathetisch oder auch lapidar ließe sich hier anfügen…..Europa!
Peter Heinrich von Wessenberg: Macht uns der Dialekt zu Europäern!? Ein Bericht über einen Dichterweg im Dreiländereck am Rhein, in: wolfgangschmale.eu/wessenberg-ueber-macht-uns-der-dialekt-zu-europaeern (1. Juni 2017)
Fotos: Autor
Prof. Peter Heinrich von Wessenberg ist sich der Wurzeln seiner urschweizerisch-vorderösterreichischen Familie bewusst. Durch die unmittelbaren Vorfahren, welche u.a. in Frankreich, England, Tschechien, Ungarn und Italien geboren wurden und lebten, ist er einem europäischen Menschenbild verbunden. So ist er auch mit seiner umfassenden Medienausbildung (England, Niederlande, Deutschland, Italien und Österreich), einer universitären Bibliothekars Tätigkeit (mit Schwerpunkt Philosophie /Geschichte), sowie der rd. 40-jährigen Konsulenten- und Korrespondenten/PR-Arbeit beim Europarat (auch als Mitglied des Klubs für Bildungs-u. Wissenschaftsjournalisten und als Freier Mitarbeiter des ORF) der Idee des europäischen Bürgers verpflichtet. Dies ist manifestiert in der mit seiner Frau Brigitte 2001 in der Schweiz (Hottwil/Aargau) gegründeten Plattform für grenzüberschreitende Kultur und Geschichte, der Wessenberg-Akademie. Aus dieser Gründung erwuchs die Société Jeanne de Ferrette/SJF, welche sich mit einem im Aargau (Lenzburg, Laufenburg), im Sundgau (Ferrette/Pfirt) und in Niederösterreich (Stift Geras, Schloss Artstetten) initiierten dreijährigen concours historique in St. Blasien im Schwarzwald 2010 mit den mitteleuropäischen Mitgliedern und Preisträgern präsentiert hat.
Eine Bestätigung der Leistungen des 72 – jährigen Peter Heinrich von Wessenberg war die 2012 im Baden-Württemberg stattgefundene Verleihung des „Europäischen Regio-Preises zur Bewahrung Europäischen Kulturerbes“ der Fondation Européenne de la Culture/Pro Europa.