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Zeitenwende? Historische Wende? Putins Krieg gegen die Ukraine hat viel ausgelöst, aber das meiste kommt erst noch

Datum: 28 Feb. 2022
Von: Wolfgang Schmale
Kommentare: Comments are off

Während jemand eine Spende an die Ukraine-Hilfe überweist, jemand einen Tweet schreibt, jemand an das Leid und Unrecht denkt, jemand gegen den Krieg demonstriert, jemand einen Artikel schreibt – sterben grundlos Menschen in der Ukraine, weil Putin es so will. Denken wir jede Sekunde des Tages daran.

In Deutschland wurde aus Anlass der Regierungserklärung und der Sondersitzung des Bundestages am Sonntag, 27. Februar 2022, „Zeitenwende“ zum Schlagwort des Tages. Der Bundeskanzler verwendete es, er fand damit viel Zuspruch in den Medien. Auch außerhalb Deutschlands wurde von „historischer Wende“ gesprochen.

Die deutsche Regierung hat Waffenlieferungen in die Ukraine beschlossen und den bisherigen Grundsatz, nicht in Kriegsgebiete zu liefern, mindestens ausgesetzt. Vorerst handelt es sich um eine Ausnahme nur für die von Putin überfallene Ukraine.

Außerdem hat die Regierung bezüglich der Bundeswehr eine Kehrtwende eingeleitet – es wird ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro noch in 2022 geben, das Verteidigungsbudget wird dauerhaft auf über 2% der Wirtschaftsleistung erhöht.

In der EU war die Geschlossenheit noch nie so groß und fest wie jetzt; weitreichende Sanktionen, die auch die Wirtschaft in der EU selber treffen werden, wurden beschlossen. Von „Hirntod der NATO“ (Emmanuel Macron, zu D. Trumps Zeiten) ist keine Rede mehr, das Bündnis steht geschlossen da, an der Notwendigkeit der NATO gibt es momentan keine Zweifel.

Ohne den Überfall Putins auf die Ukraine wäre das alles in genau diesen Tagen natürlich nicht zu beobachten – und es wäre auch nicht notwendig. Aber der mutwillig ausgelöste Krieg hat sehr viel geändert. Von „Zeitenwende“ oder „historischer Wende“ zu reden, bedeutet aber mehr, als nur Entschlossenheit und Geschlossenheit zu üben und das Regierungshandeln der Situation anzupassen.

Der Krieg gegen die Ukraine ist ebenso ein Krieg gegen Europa, er hat aber nicht erst im Februar 2022 begonnen. Sich darüber schonungslos Rechenschaft abzulegen, ist notwendig, unausweichlich. Immerhin beteiligen sich daran auch in verschiedenen europäischen Ländern die populistischen bzw. extremistischen Parteien an den rechten und linken Rändern, nachdem diese bereits in den letzten zwei bis drei Jahren zunehmend verstanden hatten, dass ihr Werben für einen Austritt aus dem Euro bzw. gleich der EU selbst bei den eigenen Anhänger*innen mehrheitlich auf kein Verständnis mehr gestoßen ist.

Das ist ein Anfang, den es festzuhalten gilt, aber ob es eine Wende mit langfristigen konstruktiven Folgen für die europäische Demokratie haben wird, kann heute noch nicht vorausgesagt werden.

Entschlossenheit und Geschlossenheit in der EU sind noch keine Garantie dafür, dass in Zukunft in der Frage der EU-Erweiterung beherzter – zum richtigen Zeitpunkt! – gehandelt wird. Die Rücksichtnahme auf Putins Befindlichkeit in Bezug auf die Ukraine hat sich als tiefgreifende Fehleinschätzung erwiesen. Wird nun in der EU ein Nachdenkprozess einsetzen, ob die bisherige Hinhaltemethode gegenüber den Westbalkanstaaten richtig ist? Bisher wollte man erreichen, dass der Beitritt eines neuen Mitglieds dann geschehen kann, wenn keine Reibungen mehr zu erwarten sind. Aber wäre es nicht klüger, davon auszugehen, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Korruptionsbekämpfung als EU-Mitglied erfolgreicher umgesetzt werden als im Status des Zaungasts? Gibt es nicht noch wichtigere Prioritäten angesichts der Außerkraftsetzung aller Regeln und Werte durch einen Putin, der seine Verachtung für all das nicht einmal verheimlicht hatte?

Der Überfall auf die Ukraine hat klargemacht, dass die Ukraine kein fernes osteuropäisches Land ist, von dem viele, auch in der Politik, nicht wussten, wo sie es kulturell einordnen sollen, sondern dass es Europa ist. Falls es noch einmal eine Chance geben wird, alle Fehler gegenüber der Ukraine auszubügeln: Sind wir alle miteinander überzeugt, dass es die EU-Mitglieder tun und schaffen werden? Wenn, dann wäre das die historische Wende.

Ein EU-Bashing ist unangebracht, aber es muss daran erinnert werden, dass die Ursprünge der EU in einer großen, tatsächlich historischen, Aufgabe und Zielsetzung nach dem Zweiten Weltkrieg lagen. Die Wachsamkeit dafür, dass eine historische Aufgabe wieder gekommen ist und eben nicht ein für alle Mal erfüllt war, war nicht mehr da.

Im Bereich des Sports, wo Russland bestens vernetzt und involviert ist, hat sich viel individueller und kollektiver Protest geäußert, Ausschlussmaßnahmen wurden eingeleitet. Es wurde wenigstens ausgesprochen, was vielen ohnehin klar war, dass bestimmte Sponsorengelder dreckig sind und aus jenen (westlichen) Einnahmen des russischen Staats kommen, die auch den Krieg gegen die Ukraine finanzieren.

Diese Einnahmen verschafft sich der russische Staat durch Putins Netzwerk korrupter Oligarchen. Nichts davon war unbekannt, viele europäische Länder haben das unterstützt, weil sie glaubten, es sei passend, mitzukassieren (z. B. durch sog. „Goldene Pässe“). Die moralische Korruption – übrigens auch von europäischem Regierungshandeln – zu beenden, wäre eine Wende.

Eine wirkliche Zeitenwende träte ein, wenn sich erwiese, dass es doch so etwas wie ein Weltgewissen gibt, das aktiviert werden kann. Dass es genug Staaten und Menschen in der Welt gibt, die wissen, wann es genug ist und so nicht mehr weitergehen darf. Hier ist China am Zug: Bringt es die moralische Kraft auf, Putin seine Unterstützung zu entziehen, wäre der Krieg bald zu Ende.

Denken wir jede Sekunde eines jeden Tages daran, dass fortgesetzt grundlos Menschen in der Ukraine sterben, weil Putin es so will.

Über den Autor
Wolfgang Schmale ist Historiker und wissenschaftlicher Publizist. Ein Schwerpunkt ist die Europaforschung.
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