[1] Ausstellungen zu Europa gibt es am laufenden Band, auch mit geschichtlichen Schwerpunkten. In diesem Rahmen sticht die Ausstellung im Theatermuseum Wien hervor, da sie eine eher ungewohnte Perspektive bietet: Sie betrachtet europäische Geschichte aus dem Blickwinkel der Theatergeschichte.
[2] Hinter der Ausstellung steht „PERSPECTIV – Gesellschaft der historischen Theater Europas e.V.“, die auch das Projekt „Europastraße Historische Theater 2012-2017“ betreibt. Die Ausstellung wurde auch in Warschau und Kopenhagen gezeigt, nach Wien wandert sie weiter nach München, dann nach Ljubljana und zuletzt nach London.
[3] Die Idee leuchtet unmittelbar ein, denn Theaterbau, Theaterstücke, Theateraufführungen ziehen sich durch die gesamte europäische Geschichte – ob man diese nun in der griechischen Antike, und/oder in der römischen oder auch erst später beginnen lassen will.
[4] Didaktisch und technisch ist die Ausstellung hervorragend gemacht. Die Vorgehensweise ist thematisch-chronologisch, pro Epoche werden verschiedene, wiederkehrende Perspektiven, angesprochen, die durch die Zeiten hindurch mit Exponaten illustriert werden. Den Epochen ist jeweils ein grundsätzliches Statement vorgeschaltet, das Grundannahmen über die Geschichte Europas beinhaltet.
[5] Die Ausstellung setzt in der griechischen Antike an, denn das „antike Griechenland ist die Wiege der europäischen Kultur“. Ausdrücklich benannt werden die griechischen Städte als erste Städte Europas, die „Einführung des Alphabets und der Mathematik“, die Entwicklung von „Philosophie, Naturwissenschaften, Literatur und Geschichtsschreibung“, die ‚Erfindung‘ der „Olympischen Spiele und (der) Demokratie“. Im Anschluss wird die Bedeutung des mittelmeerischen Kulturraums für die kulturelle Entwicklung Europas herausgestrichen. Theatergeschichtlich geht es dann um eine Typisierung der Bauten im Lauf der Jahrtausende.
[6] Ein anderes Thema gilt den religiösen Kontexten des Theaters, am griechischen Ursprung, und durch die Zeiten hindurch. Ein nächstes Thema befasst sich mit Theaterarchitektur in ihrem Verhältnis zu gesellschaftlichen Entwicklungen. Etwas später wird dies fortgesetzt unter dem Titel „Max Littmann und die Demokratisierung des Zuschauerraumes“. Spannend ist „Ästhetik und Technologie“.
[7] Stärker ‚historisch’ wird es mit der Sektion „Die Nation“, in der die Entwicklung von Nationsbewusstsein im Zusammenhang des Theaters reflektiert wird. Das Identitätsthema wird am Warschauer Beispiel genauer ausgeleuchtet. Als eine Art thematisches Gegenstück kann die Sektion „Grenzen überwinden“ gesehen werden. Zusätzliche Perspektiven eröffnen „Feuer“, „Krieg“ und „Demokratie“.
[8] Insgesamt überwiegt die Theatergeschichte, die allerdings europäisch dargeboten wird, die europäische Geschichte selbst erscheint eher im Licht üblicher Themenfelder. Ausstellungstexte sind auch nicht der Ort ausdifferenzierter Überlegungen zur Frage, wie man europäische Geschichte verstehen und infolgedessen darstellen und schreiben kann, allerdings sind die Eingangsstatements zu den Sektionen sehr konventionell.
[9] Was man ein bisschen vermisst, ist der Umstand, dass „Europa“ durchaus Thema von Theaterstücken, Opern etc. gewesen ist. Es handelt sich dabei um die Figur der Europa aus dem Mythos oder um eine allegorische Europa, die für sich stehen konnte. Da der mythische oder ein anderer Stoff jeweils ‚zeitgemäß‘ aufgefasst wurde, geben diese Theaterstücke durchaus ein sich veränderndes Verständnis von Europa wieder. Ein schönes Beispiel ist „The Rape of Europa By Jupiter“ von Peter Anthony Motteux, das 1694 im Londoner Queens-Theater aufgeführt wurde. Insoweit ließe sich das „Erzählt von seinen Theatern“ im Ausstellungstitel erweitern. Eine weitere diesbezüglich interessante Quelle wäre z. B. „Europe Galante“, von André Campra (1697) (Ballett und Musik), ein durchaus politisches Stück.
Dokumentation:
Informationen zur Ausstellung im Theatermuseum Wien und beim Verein PERSPECTIV.
Magazin zur Ausstellung „Die Geschichte Europas – Erzählt von seinen Theatern“. Zitate nach dem Magazin, das auch die Texte aus der Ausstellung enthält.
ISBN: 978-3-00-051073-1
„Europastraßen-Konferenz“ in Wien 2013
Ergänzende Quellen (zu Absatz [9]): Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jh.
Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):
Wolfgang Schmale: „Die Geschichte Europas – Erzählt von seinen Theatern“ – Eine Ausstellung im Wiener Theatermuseum. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/theatermuseum-wien, Eintrag 30.10.2015 [Absatz Nr.].