Es mag ein zufälliges Zusammentreffen sein, aber es ist voller Symbolkraft:
- Am 30. Juni fand in Frankreich der erste Wahlgang zu den Parlamentswahlen statt, der deutlich machte, dass der rechtsextreme Rassemblement national die stärkste politische Kraft geworden ist.
- Am 1. Juli hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán den Vorsitz im EU-Rat übernommen.
- Zum 1. Juli schaffte die slowakische Regierung den slowakischen öffentlich-rechtlichen Sender ab und ersetzte diesen durch eine neue Konstruktion, von der Wohlverhalten gegenüber der Regierung erwartet wird.
- Am 2. Juli startet die teilweise von rechtsextremen Parteien getragene niederländische Regierung.
Was bedeutet dieses Zusammentreffen rechtsextremer Machteroberung für die EU?
Noch ist in Frankreich nichts wirklich entschieden, auch wenn erfahrungsgemäß die im ersten Wahlgang prozentual stärkste Partei im zweiten Wahlgang höchstwahrscheinlich mindestens eine relative, wenn nicht absolute Mehrheit der Sitze in der Assemblée nationale erringt.
Die für französische Verhältnisse (seit 1997) hohe Wahlbeteiligung von 66,7% ist weder dem Linksbündnis Nouvel Front Populaire noch dem Bündnis Ensemble! von Macron zugute gekommen. Eine Besonderheit der Wahl am 30.6. liegt außerdem darin, dass es in 305 (von 577) Wahlkreisen drei Kandidat*innen in den zweiten Wahlgang geschafft haben. in 5 Wahlkreisen sind es sogar vier Kandidat*innen, nur in 191 jeweils zwei. 76 Abgeordnete haben im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit erreicht und sind damit gewählt wie Marine Le Pen vom RN.
Der zweite Wahlgang hängt entscheidend von der Strategie der Parteien ab, inwieweit sie eigene eher aussichtslose Kandidat*innen aus der Stichwahl zurückziehen, um eine*r anderen Kandidat*in, die nicht RN (+Block) ist, bessere Chancen zu ermöglichen. Rein theoretisch könnte der zweite Wahlgang daher für den RN enttäuschend verlaufen, vor allem, wenn sich die Wahlbeteiligung noch einmal erhöhen sollte. Realistisch sind solche Erwartungen freilich nicht.
Schafft der RN die absolute Mehrheit, wird die nächste französische Regierung vom RN gestellt. Dieser hat aufgrund des negativen Lehrbeispiels Brexit die frühere Forderung nach einem Frexit aufgegeben, will aber teilweise aus EU-Recht aussteigen, Einzahlungen kürzen und unter dem Schlagwort „priorité nationale“ eine rassistisch fundierte innerfranzösische Politik betreiben. Es ist zu erwarten, dass die derzeit in die Abstellkammer verschobene Putin-Freundlichkeit wieder herausgeholt wird.
Kommt es zu keiner absoluten Mehrheit, muss man hoffen, dass sich alle anderen, die nicht zum Rechtsblock zählen, der mehr als nur den RN umfasst, zusammenraufen, um eine gemeinsam im Parlament getragene Regierung zu bilden – was unwahrscheinlich ist. Regieren in Frankreich könnte sehr schwierig werden, Frankreich würde einen Teil seiner Handlungsfähigkeit in der EU (und außerhalb) einbüßen. Neuwahlen kann es frühestens nach einem Jahr Wartezeit geben.
Die Slowakei unter Präsident Pellegrini und Regierungschef Fico hat sich offenkundig Orbáns „illiberale Demokratie“ zum Vorbild genommen, auch wenn bisher an den Tischen in Brüssel diplomatischer und weniger provokant agiert wird. Allerdings steht die Regierung noch eher am Anfang.
Die neue niederländische Regierung unterscheidet sich programmatisch kaum vom RN. Da sie nun amtiert, wird es in Brüssel schwieriger werden. Das Aussteigen aus EU-Recht und die einseitige Kürzung der Einzahlungen funktioniert nicht so einfach, aber es würde die EU-Kommission dazu zwingen, immer mehr Vertragsverletzungsverfahren anzustrengen – sie muss das ggf. tun, da sie die EU-Verträge umzusetzen hat. Da es dabei um zentrale Fragen gehen würde, würde eine solche Situation die EU lähmen und ihr Image stark verschlechtern, die Verärgerung unter den Mitgliedern würde steigen, was noch mehr Lähmungssymptome hervorrufen würde.
Genau das ist die Strategie der rechtsextremen Parteien. Statt Austritt wollen sie eine „Veränderung der EU“, was „Schwächung der EU“ bedeutet. Sie geben sich der Illusion „nationaler Souveränität“ hin und glauben, weil sie derselben Illusion anhängen, sie hätten gemeinsame, sozusagen brüderlich und schwesterlich erreichbare Ziele. In Wirklichkeit läuft es auf ein schnelles Zerwürfnis hinaus.
Die Gesellschaften in Frankreich und der Slowakei sind gespalten, es kann sein, dass sich die Spaltung immer mehr als Konflikt auf der Straße ausdrücken wird, was wiederum repressive Politiken nach sich ziehen wird.
Beunruhigend ist auch der Umstand, dass praktisch alle rechtsextremen Parteien in der EU keinerlei Interesse an einer nachhaltigen Klimaschutzpolitik haben. Pläne für Klimaschutz haben sie nicht, nur für den Ausstieg aus bereits EU-weit getroffenen Vereinbarungen.
Gesellschaftspolitisch setzen diese Parteien auf Diskriminierung (Herkunft, sexuelle Orientierung etc.). Das trägt Konflikte in die Gesellschaft, fördert verbale und physische Gewalt.
Die Zeitbombe tickt.