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Katalonien – Katalexit: Neologismen beweisen: Morbus Exitus grassiert in der EU

Europa in Niederösterreich. Foto: Philipp Ther, 1.11.2014
Datum: 14 Okt 2017
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Katalexit, Neologismus, Postnationalismus
Kommentare: Comments are off

[1] Im Handumdrehen entwickelte sich Katalonien bzw. der Katalexit zur europäischen Projektionsfläche für Ängste und Sehnsüchte: Noch eine Krise, mit der sich der weitere Zerfall der EU beschleunigt, die Gefahr eines Zerfallskrieges wie vor einem Vierteljahrhundert in Jugoslawien, oder, im Gegenteil, Morgenröte eines postnationalen Europas auf der Grundlage einer neu gelebten Vielfalt.

[2] Das Wort „Catalexit“ oder „Katalexit“ war schnell geprägt. Brexit und Scotlexit gab es schon. Der Hashtag Corsexit (=brexit de la Corse) existiert ebenfalls schon. Klar, dass es Pol(e)xit und Magyar(e)xit gibt. Wer glaubt, dass das schon alles ist, irrt. Italexit oder Italxit wurde ebenfalls geprägt. Nicht zu vergessen der Grexit, der sich, wie Italexit, spezieller auf einen möglichen Austritt aus der Eurozone, nicht aber aus der EU bezieht. Bei geduldiger Fahndung wird man sicher auf noch mehr Komposita mit „exit“ stoßen: SchengenExit z. B.

[3] Doch bereits diese kleine Wortreihe reicht, um den Eindruck zu vermitteln, dass Morbus Exitus in der EU grassiert. Und nicht nur in der EU – Herr Donald Trump macht es vor: Exit aus dem Pariser Klimaabkommen, Exit aus der UNESCO, Exit aus NAFTA (=Nexit), Exit aus dem Atomabkommen mit dem Iran.

[4] Gehäufte Neologismen zeigen an, dass Dinge in Bewegung geraten sind. Nicht ohne Grund erweiterten hunderte von neuen Wörtern das Französische während der Revolution (1789-1799), die in speziellen Wörterbüchern zu Neologismen gesammelt wurden. Neologismen mögen manchmal lustig klingen, aber in der Regel verweisen sie auf etwas Ernstes.

[5] Die Wortbildungen mit dem Suffix „exit“ beziehen sich auf Austritte aus jenen Gemeinschaften, die die EU ausmachen: Die EU selber wie beim Brexit, die Eurozone, der Schengenraum („SchengenExit“) oder die Grundeinheiten, auf denen die EU völkerrechtlich beruht, die Staaten.

[6] Daher ist es leicht nachzuvollziehen, wenn, je nach subjektiver Positionierung, mit „…exit“ Ängste ausgelöst oder Sehnsüchte bedient werden.

[7] Die harte Konfrontation zwischen der katalanischen Regionalregierung (Generalitat de Catalunya) und der spanischen Zentralregierung in Madrid, die in der Polizeigewalt und den mehr als 700 Verletzten am Tag des Unabhängigkeitsreferendums auch physisch ausgetragen wurde, lässt Befürchtungen entstehen, die bis zu einem Krieg reichen.

[8] Andere sehen die Chance, vom Europa der Nationalstaaten wegzukommen und ein Europa der Regionen zu schaffen, aus dem eine „Republik Europa“ entstehen könnte. Allerdings setzt das voraus, dass sich die Regionen nicht als Nationen verstehen.

[9] Weder das eine noch das andere ist realistisch. Der Zerfall Jugoslawiens und die daraus entstandenen Kriege bedeuteten einen Sonderfall, von dem nicht auf andere Situationen geschlossen werden kann.

[10] Kataloniens Bevölkerung besteht heute zu einem großen Teil aus ZuwanderInnen; der wirtschaftliche Wohlstand der Region verdankt sich auch der Migrationsdynamik und natürlich der Verflechtung mit dem Wirtschaftsraum Spaniens und der EU. Eine Abspaltung würde die Dynamik beenden, der wirtschaftliche Schaden wäre weitaus größer als das erwartbare Ende von großen Nettozahlungen in den spanischen Haushalt.

[11] Wichtiger ist aber das Argument, dass eine legal entstandene Verfassung, die demokratisch ist, Anspruch auf Respekt hat. Daran ändern Versäumnisse in der Vergangenheit nichts. Eine Verfassungsänderung, sagen wir: Verbesserung der spanischen Verfassung, ist ja nicht untersagt, aber das braucht Zeit. Das ist eben Demokratie, dass man sich diese Zeit nimmt, selbst wenn es wie in Bezug auf den Status von Katalonien in der jüngeren Vergangenheit auch Rückschläge gegeben hat.

[12] Für Katalonien wird das völkerrechtlich anerkannte Recht auf nationale Selbstbestimmung beansprucht. Von einer katalanischen Nation zu sprechen, ist anachronistisch, geschichtsklitternd, und ein Paradebeispiel für konfliktträchtiges Othering.

[13] Jeder „…exit-Fall“ liegt anders, und doch verlangt der um sich greifende Drang zu einem „…exit“ nach Erklärungen. Weder Katalonien, noch Schottland etc. wollen zurück zum stand-alone-Prinzip des Nationalismus, sie wollen direkt in staatlicher Unabhängigkeit zur EU gehören. Allerdings stößt die EU schon jetzt mit 28 Mitgliedern an die Grenzen des Praktikablen.

[14] Es reicht daher nicht, das Unabhängigkeitsbestreben pro-EU einzubetten, das ist kurzsichtig, vielmehr müsste sehr viel weiter gedacht werden, wie die EU institutionell zu entwickeln wäre. Das wahrscheinliche Ergebnis entsprechender Gedankenspiele wäre eine Auflösung der EU zugunsten einer anderen Struktur. Was wäre damit gewonnen? Nichts! Was wäre verloren? So ziemlich Alles!

[15] Die anderen Exits haben mehr mit Sandkastenspielen zu tun als mit realen Absichten. Ein Grexit (Austritt aus der Eurozone) wurde von Griechenland vehement ausgeschlossen. Die Entschlossenheit der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien in der EU, im Falle eines Wahlsieges den Austritt ihres Landes aus der EU zu betreiben, hat nachgelassen, da die Bevölkerungen das in der Regel anders sehen, sie wollen in der EU bleiben (die Mehrheit für den Brexit war eine Bevölkerungsminderheit).

[16] Ebenso wenig wie es eine EU-Mitgliedschaft à la carte geben kann, kann es eine Gemeinschaftszugehörigkeit à la carte geben. Die verschiedenen Formen von Gemeinschaft in der EU selbst wie in den Mitgliedsstaaten sind eng miteinander verflochten. Da legt man nicht den Schalter mal so einfach um, und dann ist alles gut. Es würde allerdings einer europäischen Verfassungslogik entsprechen, wenn die Mitgliedsstaaten ihre jeweiligen Verfassungen in Richtung Föderalverfassung weiterentwickeln würden, wo das noch nicht der Fall ist.

[17] Da werden gewiss „historische“ Argumente dagegen ins Feld geführt werden, andererseits muss man sich nur die Verfassungsentwicklung in den vergangenen Jahrzehnten anschauen (Frankreich, Italien, Spanien u.a.), um zu sehen, dass der historische Zentralstaat Zug um Zug modifiziert wurde.

[18] Morbus Exitus ist da, man braucht sich diesbezüglich keinen Illusionen hinzugeben. Umso wichtiger ist es, sich damit unpolemisch auseinanderzusetzen, um die zutreffende Diagnose zu stellen. Denn die wurde meines Erachtens bisher nicht gestellt.

Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):

Wolfgang Schmale: Katalonien – Katalexit: Neologismen beweisen: Morbus Exitus grassiert in der EU. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/katalexit-morbus-exitus, Eintrag 14.10.2017 [Absatz Nr.].

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