Wir haben Donald Trump nicht gewählt und trotzdem bestimmt er über unser Leben in Europa mindestens genauso viel wie die jeweilige eigene Regierung. Das Argument, er sei ja demokratisch gewählt worden, besitzt hier keine Relevanz.
Natürlich wirkt jede demokratisch gewählte Regierung über die eigenen Staatsgrenzen hinaus. Insoweit ist jede demokratische Wahlentscheidung niemals nur eine einzelstaatliche, nationale Angelegenheit. Bisher stellte dieser Umstand kein allzu großes Problem dar, solange darauf Verlass war, dass seit dem Zweiten Weltkrieg Demokratien sich weder im wörtlichen noch im übertragenen Wortsinn bekriegen.
Trump führt einen Wirtschaftskrieg, nicht nur gegen Demokratien, aber auch gegen diese, die bisher mit den USA verbündet waren – in Sachen Demokratie, in Sachen Wirtschaft, in Sachen Verteidigung, in Sachen Kultur. Ein einzelner Präsident – gewiss, demokratisch gewählt – kann diese historischen Verflechtungen, die weit über eine zufällige gemeinsame Interessenlage und infolge dessen nur zufällige Interessengemeinschaft hinausgehen, zerreißen und Vertrauen zerstören.
Um so etwas zu verhindern, wurden zahlreiche internationale Organisationen geschaffen, die – analog zu einer Staatsverfassung – auf einer Charta (etc.) oder einem Vertrag beruhen, der für alle verbindlich ist. Im Konfliktfall kommen Gerichts- bzw. Schlichtungsinstanzen zum Zuge. Und trotzdem zeigt das Beispiel Trump, dass ein US-amerikanischer Präsident kaum aufzuhalten ist, wenn er all das im eigenen Land und in den internationalen Organisationen, denen die USA angehören, ignoriert, dass es zur Missachtung der rechtsstaatlichen Institutionen nicht einmal einen Diktator à la Putin braucht.
Noch ist nichts verloren und wahrscheinlich schadet Trump seinem eigenen Land am Schluss am meisten, aber die Verteidigung des seit 1945 gewachsenen Systems aus ‚nationalstaatlicher‘ Demokratie und internationaler, institutionell und völkerrechtlich abgesicherter Verflechtung bedarf einer aktiveren Politik nicht zuletzt der europäischen Staaten als es derzeit der Fall ist. Sie tun das im eigenen Interesse, denn wenn Probleme nicht gelöst werden, wird es der einzelstaatlichen Demokratie angelastet. Das ist unsachlich, aber ist trotzdem so.
Es muss nichts neu erfunden werden, aber es braucht einen neuen Elan. Die EU und mit ihr ganz Europa werden mehr auf sich allein gestellt sein als bisher. Das wird so sein, selbst wenn Trump merken sollte, was er anrichtet und dann den Rückwärtsgang einschaltet. Er wird diesen nicht kulturpolitisch einschalten, sondern seine menschenfeindliche Kulturrevolution vorantreiben. Man darf sich nichts vormachen, die gemeinsame Geschichte von USA und Europa ist zu Ende. Die alte historische Frage, ob Russland zu Europa gehört oder nicht, braucht gleichfalls nicht mehr gestellt werden, sie ist negativ beantwortet. Eine Annäherung von EU und China führt ins Leere, wenn es um mehr als ein auskömmliches Verhältnis gehen soll.
Die oben im Titel gestellte Frage, ob Demokratie überhaupt noch im einzelstaatlichen (nationalen) Rahmen praktiziert werden kann, bezieht sich im Wesentlichen auf die EU, die die Grundlage einer „europäischen Demokratie“ bereits gelegt hat. Es scheint der Zeitpunkt gekommen, diese europäische Demokratie, die mehr ist als die in Europa verbreitete Variante von Demokratie, weiter zu entwickeln.
Es wird viel gesprochen über die Notwendigkeit, die Kapitalmarkt- und Bankenunion in Angriff zu nehmen, hier mehr Union, dort mehr Union. Alles richtig, aber es braucht dazu auch eine Demokratieunion. Was soll das sein? Nächster Blog-Eintrag…