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Ausgrenzung als staatliches Handeln

Foto: Wolfgang Schmale
Datum: 03 Dez 2017
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Ausgrenzung, Brexit, Irland
Kommentare: Comments are off

[1] Ausgrenzung: Das schleichende Gift.

[2] Ausgrenzungen scheinen immer praktiziert zu werden und zum menschlichen Alltag zu gehören. In der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, bei Behörden, im politischen Diskurs, im staatlichen Handeln, überall.

[3] Die Formen von Ausgrenzung sind vielfältig, oft gewaltsam und brutal – auf der verbalen, psychischen und physischen Ebene.

[4] Der Anschein der Alltäglichkeit täuscht, die Formen von Ausgrenzung verändern sich, werden immer neu kombiniert. Die offen-brutalen Ausgrenzungen, auf die die rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien offenbar ein Monopol beanspruchen, sind leicht festzustellen. Meistens verdecken sie jedoch die Elementarteilchen der Ausgrenzung, die wie Gift in die Gesellschaft gestreut werden. Es kommt einiges zusammen und niemand weiß, welche Stränge am Schluss zu einem Netz verknotet werden.

[5] Die gesamte Politik eines Donald Trump scheint vom Gedanken der Ausgrenzung getragen zu sein. In diesem Grundgedanken ist die Rechte aller Länder vereint. Noch ist diese meistens in der Situation, es zu wollen, während Trump es bereits macht, aber die verbale Brutalität steigt fortlaufend.

[6] Aber nehmen wir Europa, das Europa der EU in den Blick. Im Dezember sollte der EU-Gipfel darüber beraten und entscheiden, ob die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich in die nächste Phase gehen können, wo es um das Miteinander nach dem Vollzug des Brexit geht. Derzeit sind zwei entscheidende Probleme ungeklärt, und die haben mit dem Gift namens Ausgrenzung zu tun.

[7] Das erste Problem betrifft die Grenze zwischen EU-Irland und Brexit-Nordirland. Die Mitgliedschaft des VK in der EU hat das Problem der Staatsgrenze in all den Bereichen, wo Staatsgrenze Aus- und Abgrenzung bedeutete, annulliert. Für alle EU-Mitglieder – was eine im wirklichen Wortsinn historische Leistung ist, deren friedensstiftender Mehrwert schon in Vergessenheit geraten war, jetzt aber durch den Brexit wieder deutlich hervortritt.

[8] Gibt es keine Einigung, sondern einen harten Brexit ohne Vertrag, wird die Staatsgrenze wieder zu einer harten Grenze auf der irischen Insel. Sie wird die dort lebenden Menschen hart treffen, ganz privat und persönlich, aber ebenso als ArbeitnehmerInnen und UnternehmerInnen. Menschen und Waren werden wieder systematisch kontrolliert, Zölle eingehoben. Der psychische und materielle Schaden ist hoch.

[9] Die britische Regierung sagt, das Problem sei kein Problem, deshalb müsse man sich nicht aufhalten, das könne später irgendwie mit elektronischen Systemen gelöst werden. Diese gibt es noch nicht. Vor allem verdeckt die britische Regierung oder belügt sich selbst, dass sie mit einem überholten Begriff absoluter nationaler Souveränität arbeitet, der in der Praxis harte Grenzen benötigt.

[10] Ohne die Bereitschaft, einen konkreten Lösungsplan auszuarbeiten, wird es nicht funktionieren. Man konnte das 2015 und 2016 beobachten, als der hohe Anstieg von Flüchtlingszahlen auf eine planlose EU und kooperationsunwillige Einzelstaaten traf, die wie Ungarn ihre Grenze mit Zäunen und Stacheldraht befestigten. Der Eiserne Vorhang war mir nichts dir nichts wieder da.

[11] Die harte und gar befestigte Staatsgrenze selektiert Menschen, ohne Terroristen oder Kriminelle abzuhalten. Aber im Grunde visualisiert sie vor allem, was in anderen Ländern auf der verbalen und psychologischen Ebene als Staatspolitik betrieben wird, die Stigmatisierung von Menschen durch ihre Religionszugehörigkeit oder durch ihre eher statistische denn reale Zugehörigkeit zu „Gruppen“, die für den Zweck der Ausgrenzung konstruiert werden. Etwa die „jungen alleinstehenden Männer“. Das ist ein äußeres Merkmal, trotzdem ist jeder junge männliche Flüchtling/Asylsuchende anders, seine Gründe und Motive sind andere, seine seelischen Nöte sind andere, und schon gar nicht ist er sowieso gewaltbereit und ein potenzieller Vergewaltiger, wie gerne öffentlich suggeriert wird.

[12] Das meiste davon geschieht in aller Öffentlichkeit. Nicht verborgen bleiben, aber gelangen weniger systematisch an die Öffentlichkeit, die Ausgrenzungsmechanismen der Alltagsdiskriminierung. Mit offenen Anfeindungen wegen anderer Hautfarbe, Akzent, Aussehen, Religion, Kleidung usw. lässt sich offen umgehen, sie sind Thema öffentlicher Debatten.

[13] Schwieriger sind die subtilen Ausgrenzungen, kleine Signale, die an das Gegenüber ausgesandt werden, vielleicht nicht einmal verbalisiert werden. Je besser jemand, der oder die z. B. als Flüchtling oder Asylsuchende/r kam, integriert ist und die Gesellschaft kulturell und menschlich bereichert, umso besser ist die Sensibilität für diese kleinen Signale ausgebildet.

[14] Letzteres betrifft auch EU-BürgerInnen. Wieder sind VK und Brexit der konkrete Praxisfall. Die britische Regierung hat sich noch nicht festgelegt, welche rechtliche Zukunft die bereits im Land lebenden EU-BürgerInnen haben werden. Mutwillig hat die britische Regierung über Nacht Ungewissheit, Zweifel, manchmal Verzweiflung, Frustration, tiefe Enttäuschung über mehr als drei Millionen Menschen gebracht, nur deshalb, weil sie der „Gruppe“ der EU-BürgerInnen angehören.

[15] Aber das VK steht nicht allein da. Andere EU-Länder diskutieren Modelle, die es erlauben würden, InländerInnen hier und EU-BürgerInnen dort bei den wohlfahrtsstaatlichen Zuwendungen ungleich zu stellen. Die politischen Signale, die „Gruppe“ der EU-BürgerInnen im eigenen Land nicht mehr gleich behandeln zu wollen, nehmen zu – und dies stellt eine wirklich historische Errungenschaft der EU infrage.

[16] Die allermeisten EU-BürgerInnen haben keine Schwierigkeiten, sich in den Ländern der EU, in die sie übersiedelt sind, zu integrieren. Umso höher ist ihre Sensibilität gegenüber den politischen Signalen in Richtung Ungleichbehandlung. Diese ist zwar durch EU-Recht  eigentlich untersagt, aber die verbale Ausgrenzung ist bereits Gift, denn sie besagt ja: „Wir können uns eine rechtliche Ungleichbehandlung von InländerInnen und EU-BürgerInnen gut vorstellen.“

Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):

Wolfgang Schmale: Ausgrenzung als staatliches Handeln. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/ausgrenzung, Eintrag 03.12.2017 [Absatz Nr.].

 

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