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Digitaler Humanismus – Lehren aus Covid-19

Datum: 29 Jan. 2021
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Digitaler Humanismus, Sozialstaat
Kommentare: 1

[1] Die Covid-19 Pandemie hat uns schon viel gelehrt. So auch im Feld der Digitalität und speziell in Bezug auf den schon länger diskutierten „Digitalen Humanismus“.

[2] Beim Digitalen Humanismus geht es darum, dass „digitale Technologien als Mittel der Stärkung und Verbreitung positiver gesellschaftlicher Werte und Visionen dienen (können)“.

[3] Das dreht die habituell gewordene Sichtweise um: „Im Digitalen Humanismus geht es um eine Verlagerung weg von computer-literate people hin zu people-literate technology.“

[4] Die digitale Technologie soll folglich mehr als bisher oder auch gänzlich auf Aufgaben eingehen, die mit dem Zusammenhalt in einer Gesellschaft auf der Grundlage gemeinsamer Werte zusammenhängen. Darüber hinaus sollen wertebasierte Zukunftsüberlegungen, ggf. „Visionen“ die technische Entwicklung antreiben – statt sich von technischen Möglichkeiten treiben zu lassen, nur deshalb, weil etwas technisch möglich ist.

[5] In den letzten Jahren wurde viel Aufhebens um das Netz der Dinge gemacht. Wie bequem wird doch das Leben im Zeitalter der vernetzten Dinge! Viel Aufhebens wurde um die „computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung“ gemacht. Aber wie wesentlich und wichtig ist das wirklich?

[6] Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld knüpfen den Digitalen Humanismus an die Frage einer „Ethik im Zeitalter der künstlichen Intelligenz.“

[7] Die Covid-19 Pandemie lehrt uns jedoch, dass in Sachen Digitaler Humanismus die Hausaufgaben nicht gemacht wurden.

[8] Vieles hat schlecht oder nicht funktioniert, weil es vor der Pandemie offenbar unattraktiv gewesen ist, sich mit digitalen Infrastrukturen zu befassen und diese aufzubauen, die die Menschen und Gesellschaften brauchen, wenn mal nicht alles rund läuft. Vor Pandemien und ihren Folgen wurde schon länger gewarnt, es ist daher nicht einmal Besserwisserei im Nachhinein oder unfair nachzufragen, warum Behörden, öffentliche Verwaltung und Politik (in vielen Ländern), Interessensverbände etc. diese Warnungen ignoriert haben.

[9] Es gibt andere Warnungen wie vor einem Black Out (der Stromversorgung), die aktuell mehr Aufmerksamkeit finden, weil offenbar aus der Pandemie gelernt wird. Das heißt noch nicht, dass im notwendigen Ausmaß vorgebaut wird.

[10] Aufgaben, die im Zuge der Pandemiebekämpfung zu bewältigen sind und für die es keine Infrastruktur gab und nach wie vor höchstens unzureichend gibt, sind u.a. folgende:

[11] Bildungswesen: Es ist müßig, daran zu erinnern, wie lange schon international über eine bessere Digitalisierung des Bildungswesens vom Kindergarten bis zur Universität diskutiert und zum Handeln aufgefordert wird. Es ist notorisch zu wenig geschehen, sodass heute ein bedrückendes Fazit zu ziehen ist. Digitale Angebote für diesen großen Bereich sind unterentwickelt, die Infrastruktur in Gestalt von geeigneter Hardware in ausreichender Menge und in Gestalt leistungsangepasster Server, die nicht permanent überlastet sind, fehlt. Es fehlen flächendeckend leistungsstarke Kabel, die Versorgung der Haushalte und der öffentlichen Räume mit WLan bleibt hinter den Möglichkeiten zurück. Das Sündenregister ist länger, als dass es in eine einzige Beichte passen würde.

[12] Digitale Tools fürs Lernen, für virtuelle Klassenräume etc. waren/sind für viele ungewohnt, da nie damit gearbeitet wurde, sie standen/stehen nicht zur Verfügung, die Lehrkräfte waren/sind ebenso wenig daran und darin geschult wie viele Schüler*innen, Auszubildende, Studierende. Der Nachholbedarf ist riesig.

[13] In Europa (EU) wurde es nicht für wichtig gehalten, selber in die Entwicklung von Software und Hardware zu investieren und Bildungs-, Ausbildungs- und Lehrinhalte digital aufzubereiten. Hybride oder rein digitale Lehr-Lern-Situationen wurden als Untergang jeder ordentlichen Bildung verteufelt und nicht zur Diskussion zugelassen.

[14] Nachdem neuerdings soviel von „europäischer Souveränität“ (= der EU) geredet wird: hier ist ein Feld, wo es (auch) Sinn macht, davon zu reden.

[15] Es ist offensichtlich, was in dieser Beziehung Digitaler Humanismus bedeutet – all das zu tun, was nicht getan wurde, um zu verhindern, dass benachteiligte junge Menschen noch mehr benachteiligt werden, sobald der Alltag gestört wird – heute ist es eine Pandemie, morgen ist es der Klimawandel, der uns dazu zwingt, die Option des Distance Learning, des Home Office usw. zu ziehen. Dafür müssen alle Generationen Kompetenzen erwerben können. „Lebenslanges Lernen“ ist zwar immer noch ein Schlagwort – aber, ja eben, ein Schlagwort.

[16] Eine Gesellschaft, deren Bildungssystem in einer Pandemie oder in einer anderen Störung der gewohnten Abläufe bröckelt, weil die digitalen Infrastrukturen fehlen, beweist, dass die jahrzehntelange wunderbare Welt der Bildungsrhetorik nicht besonders ernst gemeint gewesen ist. Hier bietet Digitaler Humanismus den richtigen Denkansatz, um das zu ändern.

[17] Ein anderes Feld ist die Unterstützung der Menschen beim Umgang mit und bei der Bewältigung der Pandemie (oder anderer Störungen). Es ist schwer vermittelbar, wieso angesichts der tatsächlichen Kompetenz in Sachen Programmierung, Nutzer*innenfreundlichkeit von Webseiten und Design es kaum geschafft wird, z. B. für die Registrierung für Massentests und Impftermine einwandfrei funktionierende und gut durchdachte Seiten zu bauen. Oft fehlen dann auch noch die Serverkapazitäten.

[18] Alleinstehende alte Menschen werden systematisch im Stich gelassen. Das muss nicht sein, wenn im Sinne des Digitalen Humanismus wenigstens jetzt im Lichte der Erfahrungen mit der Pandemie die Weichen umgestellt werden. Digitalität muss zudem auch im Alter gelernt werden können. Wie sieht die Erwachsenenbildung in Bezug auf Digitalität und Lebensalter aus? Hier zu investieren, ist Digitaler Humanismus.

[19] Der Humanismus-Aspekt ist wörtlich zu nehmen: Welche Digitalität ist lebensweltlich besonders nötig? Was braucht eine Gesellschaft, um nicht in einer Pandemie ungewollt inhuman zu werden? Es sind basal anmutende Aspekte, jedenfalls im Vergleich zu Künstlicher Intelligenz in humanoiden Robotern oder autonom fahrenden Autos.

[20] Die basalen Aspekte sind aber wichtiger, sie haben nur den „Nachteil“, gegenüber humanoiden Robotern und autonom fahrenden Autos, wenig showgeeignet zu sein. Über Digitalen Humanismus zu reden erinnert uns daran, dass KI-Visionen schön und gut sind – wenn man nicht darauf vergisst, dass der Lebensalltag zunächst einmal ganz andere Bedürfnisse zeitigt, und zwar nicht nur in Pandemiezeiten, sondern jederzeit.

[21] Digitaler Humanismus könnte ein Leitbegriff bei der Definition öffentlicher Aufgaben sein. Was sollte der Sozial- und Wohlfahrtsstaat im 21. Jahrhundert sein? Digital human!

Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):

Wolfgang Schmale: Digitaler Humanismus – Lehren aus Covid-19. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/digitaler-humanismus, Eintrag 29.01.2021 [Absatz Nr.].

Weitere Gedanken dazu, was wir aus der Covid-19 Pandemie lernen können:

Europäische Integration 2.0 – Diese muss nach der Corona-Krise kommen (Teil I) / Teil II

Corona-Pandemie und Demokratie

Corona, die Demokratie und die Tugend

Den Rassismus auf Abstand halten

Die Covid-19-Krise und die europäische Rechtskultur

„Systemrelevant“ – Auch unter Covid-19 Bedingungen müssen wir sorgfältig auf die Worte achten

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One Comment
  1. Alexander Burstein 3. Februar 2021 at 18:39

    Danke für den gelungenen Blog-Eintrag zum digitalen Humanismus! Bleibt nur noch die Frage, warum Politik und Gesellschaft die angeschnittenen Themen so hartnäckig ignorieren? Ist es Unwissenheit, ist das Thema zu wenig sexy, kann also schwer in Wählerstimmen umgemünzt werden, ist es Ignoranz? Wie lässt sich digitaler Humanismus auf die politische und gesellschaftliche Agenda bringen, wenn selbst Katastrophen wie eine Pandemie das (anscheinend) nicht schaffen?

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