[1] Die Gaststube ist, wie es sich gehört: Geräumig, große Tische, alles aus Massivholz inklusive der Stubendecke, eine große Schank, draußen eine Terrasse zur Donau hin. Die Beilage zur normalen Speisekarte verspricht regionale Spezialitäten: Surbradl mit Kraut, Kesselfleisch, Schweinshaxn und noch mehr vom Schwein.
[2] Wir treten ein. Die Bedienung kommt nicht aus Niederbayern, sondern von nördlich des Mains. Der Stammtisch ist voll besetzt, wären die Herren etwas jünger, würde man Burschen sagen. Es geht munter zu.
[3] Ich entscheide mich für das Kesselfleisch mit Meerrettich (sic!), dazu das aus Anlass der aktuellen Bayerischen Landesausstellung im Kloster Aldersbach – Thema: „Bier in Bayern“ – selbstgebraute Zwickl. Das Ausstellungsthema weckt ungute Erinnerungen an eine kürzliche Geschichte in Bayern.
[4] Das Kesselfleisch ist gut, der Meerrettich zu milde, den Vergleich mit Kren in Österreich kann er nicht aushalten.
[5] Der Wirt kommt an den Tisch, wir plaudern. Die Hemdsärmel sind hochgekrempelt, der linke Unterarm ist mit großen blauen Flecken übersät, vermutlich Folge eines Motorradsturzes. Er erklärt uns unaufgefordert in prägnanter Kürze Niederbayern. Ich sage ihm, ich sei in Würzburg geboren. Er verzieht schmerzlich das Gesicht – ich weiß, die Franken sind ja keine Bayern. Aber ich entgegne, „Ihr wolltet Franken haben, Napoleon hat es euch gegeben!“
[6] Das beeindruckt den Niederbayern aber gar nicht, vielmehr lobt er die hervorragenden Beziehungen zur nahen oberösterreichischen Nachbarschaft. Ich bin drauf und dran, nun meinerseits dem Wirt eine Lektion in bayerischer Geschichte zu erteilen, da das Innviertel bis 1779 bayerisch gewesen war, aber ich schrecke davor zurück, schließlich will ich nicht verantworten, dass sich Wirt und Stammtischmannschaft auf Unüberlegtes einlassen.
[7] Am Stammtisch dringt eine preußische Stimme durch. Es geht zum Glück nicht um alte Gebietsansprüche, sondern nur um die neue Fünfeuro-Münze, mit der man nur in Deutschland, aber nicht in den anderen Euro-Ländern zahlen kann. In der Durchreiche der Küche erscheint ein junger Pakistani.
[8] Der Wirt vermeldet noch, dass sich die Niederbayern niemals ändern werden. Das hatte ich auch gar nicht erwartet und würde es niemals suggerieren… Stattdessen verhandele ich mit dem Wirt, ob es nun Meerrettich oder Kren heißt – ich bin für Kren, er für Meerrettich –, da ich zudem Senf will, verspricht er mir Mostrich.
[9] Der junge Pakistani zeigt sich wieder im Rahmen der Durchreiche. Der Wirt bringt mir einen großzügigen Nachschlag an Kren und Senf.
[10] Die preußische Stimme lässt sich immer noch über die Fünfeuro-Münze aus. Die Fakten, die die durchdringende Stimme erzählt, sind korrekt. Ich frage mich im Stillen, ob das der Weg zurück zur nationalen Währung ist? Euromünzen, mit denen nur in Deutschland gezahlt werden kann? Eines morgens wacht man auf, und dann sind die Sondereuros plötzlich wieder eine D-Mark?!
[11] Die Bedienung von nördlich des Mains bringt die Rechnung, das Essen war gut und günstig. Nur das Zwickl, nein, das können sie dort nicht, das muss man in Wien trinken.
Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):
Wolfgang Schmale: Zu Gast bei einem Wirt in Niederbayern. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/niederbayern, Eintrag 21.04.2016 [Absatz Nr.].