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Open Access und das Autoritative in den Humanities

Schwerpunkt Digital Humanities, Historisch-kulturwissenschaftliche Fakultät, Universität Wien: Martin Gasteiner/Julian Roedelius
Datum: 12 Mrz 2016
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Digital Humanities, Interdisziplinarität, Open Access
Kommentare: 3

[1] Open Access (OA) ist essentieller Bestandteil der Digital Humanities. OA zielt auf die freie Zugänglichkeit digitaler bzw. digitalisierter Quellen, digitaler/digitalisierter Forschung, letztlich auf die freie und barrierefreie Zugänglichkeit digitaler Inhalte (aller Art).

[2] Das „Prinzip OA“ macht keinen Unterschied zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Inhalten. Aus der Sicht von Wissenschaft existieren auch keine Inhalte, die nicht für Wissenschaft interessant sein könnten. Es gibt nichts, was nicht Objekt und Ziel wissenschaftlicher Erkenntnis wäre oder sein könnte.

[3] In der theoretischen Unbegrenztheit liegen Segen und Fluch des OA. Es wird auf kurz oder lang zu einer Veränderung der Humanities-Fächer führen.

[4] Alles, was Menschen schaffen, einschließlich geistiger Güter, wird schon immer in irgendeiner Weise materialisiert oder schlägt sich in Materialisierungen nieder. In der Gegenwart geschieht dies oft schon in digitaler Form: Materialisierung geschieht als Digitalisierung.

[5] Kultur ist im Grundsatz immer auch ‚räumlich‘ radiziert. Wie groß oder klein dabei der ‚Raum‘ ist, spielt für die Betrachtungen hier keine Rolle. Die digitale Materialisierung kultureller Güter hebt diese ‚räumliche‘ Radizierung zwar nicht auf, situiert diese aber aufgrund des Vorgangs, dass Materialisierung als Digitalisierung geschieht, im virtuellen Raum des Web zusammen mit unendlich vielen anderen digitalen Materialisierungen, die anderen ‚Räumen‘ entstammen. Dieses virtuelle Zusammenrücken existiert in dem Umfang nur im Web, auch wenn es in Ausstellungen oder Sammelbänden etc. bis zu einem gewissen Grad ebenfalls simuliert wird. Die Quantität ergibt hier einen wesentlichen qualitativen Unterschied.

[6] Es entsteht technisch ein Hypertext, der aber nicht zwingend inhaltlich kohärent ist und dessen kohäsiver Charakter zunächst rein technisch besteht. Trotzdem ist er da und führt zur Neukontextualisierung der Materialisate. Diese, digital oder nicht digital, sind das, was in den Humanities üblicherweise als Quellen (Primärquellen, Quellen erster und zweiter Ordnung etc.) genannt wird.

[7] Die Neukontextualisierung der Materialisate im Web per OA beruht auf anderen Koordinaten, als wenn sie sich nicht dort befänden. Der schiere Umstand, dass es so ist, lässt ungezählt viele sinnvolle (oder sich nicht als sinnvoll erweisende) Fragestellungskombinationen zu.

[8] Was heißt das genau? Das heißt, dass hier eher ein Kreativvermögen gefragt ist – für die Entwicklung von (wissenschaftlichen) Fragestellungen – und weniger eine Ableitung der Fragestellungen aus dem vorstrukturierten Raum des jeweiligen wissenschaftlichen Faches heraus. Das Kreativvermögen wird jedoch in die Abhängigkeit von für Forschung geeignete Algorithmen oder allgemein Programme gestellt, die große Datenmengen (Big Data) bewältigen.

[9] Denn, um es etwas plakativ gegenüber zu stellen: „Traditionell“ werden Forschungsfragen aus der Kombination von bisherigen Forschungsergebnissen und Forschungslücken entwickelt, zu der die Kombination von erprobten Methoden, theoretischen und konzeptuellen Ansätzen tritt. Es existiert in der Regel eine Vorstrukturierung, die sich in der engeren Forschungsgeschichte und dem engeren Forschungsstand sowie in der Geschichte der Inhalte eines Faches und überhaupt der Geschichte der Fächergruppe (hier: Humanities) niedergelegt hat.

[10] Aus all dem zusammengenommen erwächst wissenschaftliches Wissen, das aufgrund seiner skizzierten Herkunft den Charakter des Autoritativen beansprucht. OA stellt dies radikal infrage.

[11] Oder, um es provozierender zu formulieren: OA macht das alles überflüssig bzw. hebelt es aus. Um Forschungsfragen zu entwickeln, scheint es der Geschichte der Inhalte eines Fachs oder Fächergruppe nicht mehr zu bedürfen. Trans- und Interdisziplinarität durchbrechen diese Konstellation schon länger, aber sehr weit ist man nicht gekommen, weil ‚man‘ Wissenschaftler/innen, die trans- und interdisziplinär arbeiten, häufig auflaufen lässt. Es wird ihnen die Identität eines Faches abgesprochen.

[12] Das Interessante an OA ist die Frage, ob OA uns in den Stand versetzt, sinnvolle Forschungsfragen zu entwickeln, die nicht von der autoritativen Vorstrukturierung abhängen, sondern durch die Nutzung des Kreativitätspotenzials, das die Quantität zu eröffnen scheint, bestimmt werden. „Fachidentität“ ist dann obsolet.

[13] Nicht interessant an OA ist die in vielen Erklärungen und politischen Statements in den Vordergrund gestellte freie Zugänglichkeit von Wissen – idealistischerweise gleich für die gesamte Menschheit. Als solches ist das ein gutes Ziel, trifft aber nicht das Wesen von OA.

[14] Was das eigentliche Wesen von OA ist, hängt von der Beantwortung dieser Frage ab: Ist eine Entkopplung wissenschaftlicher Fragestellungen von der autoritativen Vorstrukturierung des Faches/der Fächergruppe der Humanities denkbar?

 

Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):

Wolfgang Schmale: Open Access und das Autoritative in den Humanities. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/open-access, Eintrag 12.03.2016 [Absatz Nr.].

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3 Comments
  1. Dr. Peter Pichler 12. März 2016 at 11:32

    Lieber Herr Schmale, vielen Dank für den Beitrag, finde ich sehr interessant; nämlich die Frage der Strukturänderung des Kulturforums der Humanities (natürlich auch anderer Wissenschaften). Mit dem von Ihnen angesprochenen Bruch mit Fachgeschichte, Forschungsfragen und Erprobtem in Methoden und Empirie entstehen ganz neue Forschungsfragen. Eben idealiter in Open Access-Projekten, transdisziplinär. In diesem Sinne eine Intensivierung eines Trends, der auch schon vor der Konjunktur des Webs da war. Ich stelle mir nun die Frage, ob dieser Strukturwandel wirklich diese scheinbar umwälzende Entwicklung darstellt, also Fachidentität und Fachgeschichte als Referenzrahmen obsolet macht. Dies scheint mir plausibel zu argumentieren, aber doch sind selbst die wichtigsten Fachportale (etwa in der Geschichte H-Soz-u-Kult) noch immer an diesen orientiert, wir arbeiten nach Fächern, Perioden usw. Ich sehe es als sehr spannende Aufgabe an, diesen Wandel gerade für eine EU-Kulturgeschichte zu beschreiben. Was bleibt übrig, wenn wir uns an eine solche machen, dabei aber nicht mehr über den gewohnten disziplinären Referenzrahmen verfügen? Ich denke, man könnte dies kurz auf den von Ihnen angerissenen Raum einer „kreativen Hypertextualität“ bringen, wo Europa als die EU mehr zum Kristallisationspunkt von Assoziation und „Verknotung“ denn zur Forschungslücke wird. Danke für den Beitrag! Mfg, Peter Pichler

    • Wolfgang Schmale 12. März 2016 at 12:02

      Herzlichen Dank! Offen ist die Frage, was sinnvoll ist, das heißt soll man die Entwicklung stärker fördern oder lieber auf festgestampftem Boden bleiben…??

  2. Dr. Peter Pichler 12. März 2016 at 13:57

    Ich sehe hier zwei Fragen, die wir bearbeiten sollten: Erstens, wir bräuchten dann eine Frage nach sowas wie einer „historischen Theorie von Kreatitvität“; seit jeher ein großes Thema. Zweitens, eine doch breite Diskussion im Fach, verbunden mit Interdisziplinarität und Gesellschaft, über die Identität, den „Auftrag“ des Faches, im Sinne von vl. Anpassung seiner Identität an heute. Die Verfachlichung der Geschichte ab dem 19. Jahrhundert war ja auch Ausdruck einer neuen gesellschaftlichen Situation, die eben heute in gewissen Sinne strukturell sich verändert – oder eben teils auch bleibt. Ich sehe keine Pauschalantwort, ob fördern oder nicht.

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