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Europäische Desintegrationsgeschichte (III): Europa auf Treibsand setzen

Datum: 09 Mrz 2019
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Europäische Desintegrationsgeschichte, Klassenrassismus, Treibsand
Kommentare: Comments are off

[1] Die EU wid gerne als Wertegemeinschaft beschrieben, sie versteht sich auch selber so, verankert ist dies im Vertrag von Lissabon. Die Wertegemeinschaft ist eine Art Gütesiegel gelungener europäischer Integration. Wertegemeinschaft bedeutet dabei mehr, als ‚nur‘ Werte, denn gemeinsame Werte setzen einiges voraus.

[2] Voraussetzungen sind z. B. bestimmte Schlussfolgerungen aus der Geschichte, insbesondere des 20. Jahrhunderts, ein rationaler Zugang zur Welt, gegenseitiges Vertrauen, Anerkennung von Grenzen im politischen und ökonomischen Wettbewerb.

[3] Weitere, bis zu einem gewissen Grad stillschweigende Voraussetzung ist die Rolle, die Expert*innen, Wissenschaftler*innen und verschiedensten Funktionsträger*innen mit einer entsprechenden Berufsausbildung und –erfahrung zugemessen wird.

[4] Die zuletzt genannten sozialen Gruppen werden immer häufiger als Eliten bezeichnet – weniger im Sinne einer Anerkennung von Kompetenzen, die der Gesellschaft nützlich sind, sondern negativ als ‚Feinde des Volks‘. In extremen Fällen handelt es sich um Klassenrassismus.

[5] Die EU wird insgesamt als Elitenprojekt entwertet, also als ein Projekt, das eine angebliche Elite für ihre eigenen Zwecke und Vorteile geschaffen habe. Ist die EU nur ein Elitenprojekt, so liegt es auf der Hand, dass dies zugunsten des Volks zu ändern sei. So der Populismus.

[6] Die Bezeichnung der EU als Elitenprojekt ist freilich nicht nur ein Mantra des Populismus, sondern findet sich auch in seriösen Medien, die unreflektiert diese simplizifierende Identitätszuweisung verwenden.

[7] Man kann eine soziologische Antwort geben und sagen, dass jede Gesellschaft ihre Elite(n) hat und diese unter anderem als Innovationstreiber braucht. Eliten stellen dabei keine Klasse, nicht einmal eine eng vernetzte soziale Gruppe dar. Viele Expert*innen und Wissenschaftler*innen haben mit den Banken- und Unternehmenseliten wenig bis gar nichts zu tun. Noch weniger Intellektuelle…

[8] Es ist auffällig, dass Länder wie Italien, Polen, Ungarn und zunehmend Rumänien, Personen, die soziologisch als Elite betrachtbar sind, aus ihren Funktionen nicht zuletzt mittels Gesetzesmanövern herausdrängen. In Ungarn und Polen sind Wissenschaftler*innen besonders betroffen, das Schaffen von Wissen durch Anwendung wissenschaftlicher Methoden und Forschung wird zugunsten ideologischer und propagandistischer Positionen reduziert, die Verbreitung von kritischer Kompetenz in der Gesellschaft zunehmend verhindert.

[9] In anderen Ländern werden inhaltlich vergleichbare Kampagnen gefahren; so wird etwa in Deutschland, aber nicht nur dort, zunehmend die Genderforschung diskreditiert. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse werden schlicht geleugnet, Darwin wird in der Schule verboten (Türkei) bzw. gewinnt der Kreationismus durch ideologisierte Pressuregroups überhand über die Evolutionstheorie, usw.

[10] Die sog. Eliten haben eine entscheidende Funktion für Wissen und für die Entwicklung der Wissensgesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Zwischen dieser Entwicklung und der Wertegemeinschaft, die die EU sein soll und sein will, besteht ein Zusammenhang. Wird die Diskreditierung und Diffamierung von bestimmten Menschen oder sozialen Gruppen mit der Huldigung an „alternative Fakten“, Fake News und der freiwilligen Unterwerfung unter gefakte Geschichten verknüpft, wird das Netz, das uns seit der Nachkriegszeit trägt, eingerissen und in letzter Konsequenz zerrissen. Es wird unter das Haus Europa Treibsand geschoben.

[11] Daran beteiligen sich auch in Europa US-amerikanische Milliardäre, die auch Donald Trumps Wahlkampagne mitfinanziert haben. Die französische Tageszeitung Le Monde hat in ihrer Printausgabe von Freitag, 8. März 2019, auf den Seiten 2 und 3 in einem umfassenden Artikel ihre diesbezüglichen Rechercheergebnisse zusammengefasst.

[12] Die Versuche russischer Einflussnahme durch die Verbreitung „alternativer Fakten“, Fake News und erfundene Geschichten sind in der Öffentlichkeit und vielen Medien bereits breit diskutiert worden, aber diese US-amerikanische Beteiligung und Dimension bedarf einer gründlichen Ausleuchtung.

[13] Im europäischen Schul- und Erziehungssystem wurde seit 1945 viel getan, um kritische Kompetenzen gegenüber Ideologien, insbesondere gegenüber dem Faschismus/Nationalsozialismus, aufzubauen – wurde genug getan, um den Import von woandersher abzuwenden?

[14] Die Verunsicherungsstrategien, insbesondere durch die Instrumentalisierung der digitalen sozialen Medien, haben denselben Effekt wie das Elitenbashing, sie schieben Treibsand unter das Haus Europa.

[15] Haben wir genug Schubkarren aufgefahren, um den Sand wegzubringen, bevor das Haus sein Fundament im Treibsand verliert und Stück für Stück, Zimmer für Zimmer darin versinkt? Das wäre Desintegration pur.

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