[1] Über die Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika kann man sich nicht freuen. Sie bedeutet, dass man nicht nur trotz, sondern mit oder gar wegen vorverurteilender, diskriminierender, xenophober, sexistischer, rassistischer und mit Gewalt aufgeladenen Statements zum Präsidenten gewählt werden kann.
[2] Sie bedeutet, dass es keines nachvollziehbaren politischen Programms bedarf, um zum Präsidenten gewählt zu werden. Sie bedeutet, dass eine, zwar nicht numerische (Hillary Clinton hat absolut mehr Stimmen als Trump) aber im Sinne des Wahlrechts, Mehrheit gegen die Fortsetzung eines Weges als beispielhafte Demokratie gestimmt hat.
[3] Nach einem schwarzen Präsidenten erstmals eine Frau hätte die Innovationskraft der amerikanischen Demokratie eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Das ist nun nicht der Fall, sondern das Gegenteil. Die Wahl einer Präsidentin hätte bewiesen, dass sich die US-amerikanische Demokratie auf der Höhe des 21. Jahrhunderts befindet.
[4] Das ist sie nicht, denn ein Großteil der Werte, die Demokratie ausmachen, hat für die Mehrheit nicht so viel Gewicht gehabt, wie man hätte erwarten sollen. Trotzdem ist es eine wahlrechtlich korrekt zustande gekommene Entscheidung der Wählerinnen und Wähler und ist daher zu respektieren. Anders ausgedrückt, man muss dieses Land dahin ziehen lassen, wo es hinwill – zu verhindern ist es sowieso nicht. Das heißt nicht, zu schweigen.
[5] Nimmt man die Aussagen Trumps über das, was er tun wolle, wörtlich, wird den USA ein weiterer Niedergang bevorstehen. Am meisten werden die betroffen sein, die ihn gewählt haben, gerade weil sie glaubten, er könne ihre Situation mit den simplen Muskelprotzrezepten verbessern. Aber das hatte natürlich Hollywood-Blockbuster-Qualität, was soll man sich da wundern?
[6] Es wäre im Moment reine Spekulation, darüber weiter nachzudenken, solange Trump kein echtes politisches Programm vorgelegt hat. So, wie es reine Spekulation wäre, zu denken, dass es jetzt zum großen Schulterschluss zwischen (in alphabetischer Reihenfolge) Erdoğan, Putin und Trump mit einem Beifall klatschenden Duterte und einem grinsenden Orbán kommen könnte.
[7] 53% der Männer insgesamt wählten Trump; von den weißen Männern waren es 63% und von den weißen Männern ohne College-Abschluss 73%. Insgesamt haben 58% der Weißen Trump gewählt. Clinton erhielt rund 55% der Stimmen der 18-29 Jährigen, bei den 30-44 Jährigen waren es rund 50%, einige Prozent mehr als Trump erhielt. Nach einer Befragung sprachen 70% Trump die Eigenschaft zu „sorgt für Wandel“.
[8] Aber um was für einen Wandel handelt es sich da? Nachdem die jüngeren WählerInnen mehr für Clinton als für Trump gestimmt haben, dürfte es sich nicht um den Zukunftswandel handeln, den man im Allgemeinen mit dem jüngeren Alter verbindet. Dasselbe Phänomen haben wir schon beim Brexit gesehen – es sind beides Abstimmungen zugunsten eines nach rückwärts gerichteten Wandels. Die Zahl der Zombie-Länder, die in der Weltpolitik unterwegs sind, erhöht sich offensichtlich. Es sind keine Entscheidungen, die die Zukunft der jüngeren Menschen zum Maßstab nehmen.
[9] Man soll nicht vorschnell vergleichen, aber ähnlich motivierte Abstimmungen in Ländern des östlichen Mitteleuropas und Südosteuropas in der Vergangenheit haben zu einem Exodus der Generation der Jüngeren geführt. Natürlich spielte dabei eine Rolle, dass das sozioökonomische Ausgangsniveau sehr niedrig war und deshalb Zukunftsperspektiven insgesamt verdunkelt waren; soweit unten sind weder die USA noch das Vereinigte Königreich.
[10] Die Wahl Trumps besitzt noch ganz andere Seiten. Seine Version des Populismus könnte für die europäischen Populisten von rechts einen Dammbruch bedeuten. Allerdings kennt man hierzulande diese Kombination aus Populismus und Milliardär nicht. Doch man wird sehen, wer jetzt als nächstes wieder Grenzen des Sagbaren austestet. Wer wird die Nase vorn haben? Front national? AfD? FPÖ? Ukip? Oder mal wieder eine dieser Figuren bei der CSU, die zuerst das Schild „Ich bin Christ!“ vor sich tragen und dann verbal auf Flüchtlinge und aus Afrika gekommene Priester losgehen, um nur an zwei der vielen Entgleisungen, die den Medien nicht entgangen sind, zu erinnern?
[11] Zu den anderen Seiten der Wahl gehört, dass die EU nun noch mehr Anlass hat, aus ihrem langen Dornröschenschlaf zu erwachen. Wenn der frühere amerikanischen Botschafter John Kornblum im Zusammenhang des Ausgangs der Präsidentenwahl sagt, die Nachkriegszeit sei nun so richtig zu Ende, mag das stimmen, aber nicht wegen der Wahl Trumps. Es ist grundsätzlich eine zutreffende Feststellung, die in der EU bisher noch nicht angekommen war.
[12] Für eine fortgesetzte Pflege nationaler Eitelkeiten auf Kosten der europäischen Solidarität und Einigkeit ist keine Zeit mehr. USA und UK driften ab. Die Hoffnung, in Russland einen Partner haben zu können, kann für die nächsten zwei Jahrzehnte auf dem Dachboden in einer Kiste verstaut werden. Das Verhältnis kann sich wieder bessern, aber Russland unter Putin & Co. will eine Macht sein, kein Partner.
[13] Die Türkei – driftet sie auch ab? Gleitet sie in zunehmende innere gewaltsame Konflikte ab, gar in einen Bürgerkrieg? Wird die Türkei das nächste Syrien? Werden die Kurden die Armenier des 21. Jahrhunderts? Wie entwickelt sich die Wirtschaft? Laut TurkStat waren im Juli 2016 3,4 Millionen arbeitslos, das sind 11,2%; die Jugendarbeitslosigkeit betrug im selben Monat 20,2%. Das Wirtschaftswachstum hat sich halbiert. Stabilität ist das nicht.
[14] Die Flüchtlingsströme werden anhalten, die benachbarte Welt im Osten und Süden der EU wird weder schnell Frieden noch wirtschaftlichen Wohlstand finden.
[15] Die EU-27 müssen sich folglich zusammenraufen, Gemeinsames wie in Sachen Verteidigung ausbauen und Lasten wie die Flüchtlinge solidarisch verteilen. In der Energiepolitik bedarf es mehr Koordination und Abstimmung. Dasselbe gilt für Rohstoffe. Dasselbe gilt für die Klimastrategie. Dasselbe gilt für den Umweltschutz. Dasselbe gilt für Forschung. Dasselbe gilt für Digitalisierung.
[16] Was immer auch in Bezug auf die Sicherheitspolitik und andere Agenden getan wird, die europäische Demokratie muss parallel dazu ausgebaut, nicht abgebaut werden.
[17] Die EU wird in den kommenden Jahren mehr auf sich selbst verwiesen sein als bisher. Dafür muss sie sich bereit machen. Sie wird weit und breit der einzige Raum mit (noch) funktionierenden Demokratien sein. Sind sich die EU-Mitglieder darüber im klaren? Sind sie bereit, das als schützenswertes Gut anzusehen?
Dokumentation:
Zahlen zu den US-Wahlen: http://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-amerika/analyse-zur-us-wahl-2016-wer-waehlte-wen-14520011.html
Weiterführender Link zur kulturgeschichtlichen Einordnung Trumps bei Peter Pichler
Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):
Wolfgang Schmale: Donald Trump hilft der EU beim Aufwachen. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/donald-trump, Eintrag 10.11.2016 [Absatz Nr.].
Lieber Herr Schmale,
haben Sie vielen Dank für diesen Beitrag, und vor allem auch jene beiden gehaltvollen zur Europäischen Demokratie! Da mich die Wahl Trump schon auch beschäftigte (europäisch-kulturhistorisch) habe ich auch einen kurzen Post dazu verfasst – es zeigen sich strukturelle Ähnlichkeiten in der Kultur eines „Populisten“ und populärer Musik:
„Paradox, Ambivalence and the Rise of the Unexpected: What Do the Presidency of Donald Trump and Metal Music Have In Common?“
http://www.peter-pichler-stahl.at/artikel/paradox-ambivalence-and-the-rise-of-the-unexpected-what-do-the-won-presidency-of-donald-trump-and-black-metal-have-in-common/
Lieber Herr Pichler,
Sie haben eine unerwartete und daher umso aufschlussreichere Perspektive gewählt. Der Umstand, dass jemand wie Trump zum Präsidenten gewählt werden konnte, ist wohl weniger allein mit der Person zu erklären, sondern durch das, für das er ein „exposure“ ist. Das geht, wie Ihr Blogeintrag zeigt, tiefer als das „er ist die Stimme der unzufriedenen weißen middle class, die ökonomisch und sozial absteigt“.
Ich habe im Blog den Link zu Ihrem Eintrag angefügt.
Wolfgang Schmale
Lieber Herr Schmale, ja die Person, „Charisma“, is ja immer auf einen Diskurs angewiesen, die sie nutzten und gestalten kann. Es ist genau diese umgreifende Angst vor dem Statusverlust.
Beste Grüße,
Peter Pichler