logo
  • Home
  • Europa-Tagebuch
  • Das Digitalzeitalter
  • Feuilleton
  • Über mich

#SOTEU: Jean-Claude Juncker – Rede zur Lage der Europäischen Union 2018

Brüssel, Europäisches Parlament; Foto: Wolfgang Schmale
Datum: 13 Sep. 2018
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Juncker, Martin Schulz, Rede zur Lage der Union
Kommentare: Comments are off

[1] #SOTEU: Am 12. September 2018 hielt der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, zum letzten Mal in seiner Amtszeit vor dem Europäischen Parlament die Rede zur Lage der Europäischen Union.

[2] Juncker hatte 2014 angekündigt, ein politischer Kommissionspräsident zu sein – dieses Versprechen hat er gehalten.

[3] In der Rede plädiert er für eine sehr aktive und starke Rolle der EU in der Weltpolitik. Ohne es allzu explizit zu formulieren, definiert er mittlerweile die Kernziele der EU weltpolitisch.

[4] Die anfänglichen und früheren und durchwegs europazentrischen Ziele wie Frieden in Europa schaffen und halten sowie überall Rechtsstaatlichkeit, sieht er als erreicht und bewahrenswert. Er ist nicht blind für die Gefährdungen und fordert konsequent die Durchführung von Rechtsstaatlichkeitsverfahren, ohne die gemeinten Länder namentlich zu erwähnen.

[5] Aber dabei geht es darum, etwas im Wert und funktionstüchtig zu erhalten, was erreicht wurde, die heutigen und künftigen Ziele der EU, die dann einmal ihre Daseinsberechtigung ausmachen werden, charakterisiert er weltpolitisch.

[6] Dazu zählen die Stärkung des Euro, was substanzielle Fortschritte bei der Ausgestaltung der Währungs- und Bankenunion sowie der europäischen Wirtschaft erfordert.

[7] Dazu zählt die Partnerschaft mit Afrika. Juncker spricht von Partnerschaft und Gegenseitigkeit. Wer sich mit historischen Kolonialdiskursen und ihrem Nachleben bis 2018 befasst, kann nur bestätigen, wie zutreffend und richtig Junckers Forderung ist – und dass darin mehr ideelle Herausforderung steckt, als es zunächst den Anschein hat.

[8] Es lässt sich sagen, dass der Ruf der afrikanischen Flüchtlinge zumindest in dieser einen Hinsicht gehört und verstanden wurde: Herstellung einer umfassenden Partnerschaft zwischen der EU und Afrika, die viel Investitionen erfordert, bei denen der Sektor der Ausbildung eine zentrale Rolle spielen muss.

[9] Dazu zählen die Freihandelsabkommen, die Juncker verteidigt, er weist die teils harsche Kritik zurück und verweist auf den großen Nutzen. Er wirbt für eine zügige Ratifizierung des Abkommens mit Japan – und setzt sich für ein entsprechendes Abkommen mit dem Vereinigten Königreich, sobald der Brexit in Kraft tritt.

[10] Mit großem Nachdruck zeigt Juncker auf, welche konstruktive Kraft Einigkeit in der EU entwickeln kann. Man wird ihm leicht zustimmen können, dass etwa Asyl- und Einwanderungsfragen besser behandelt werden können, wenn es ein System in der EU gäbe.

[11] Der Kommissionspräsident wirbt für die häufigere Anwendung des Mehrheitsprinzips bei Abstimmungen anstelle des Einstimmigkeitsprinzips. Als Beispiel nennt er das Abstimmungsverhalten der EU in internationalen Organisationen, wo die EU durch Uneinigkeit der Mitglieder immer wieder blockiert wird, sodass etwa eine Verurteilung der permanenten Menschenrechtsverletzungen in China ausgeblieben sei.

[12] Juncker widmet einige sehr klare Sätze dem Brexit. Er werde respektiert und UK werde danach ein besonderer Partner der EU bleiben, jedoch ohne Rosinenpickerei (den Begriff verwendet er nicht wörtlich). Sein Hinweis, dass die Frage der irischen Grenze im Geist des Status quo geregelt werden müsse, stellt zugleich eine Warnung dar. Dieser Geist ist angesichts der gewaltsamen und tödlichen Vorgeschichte nicht verhandelbar.

[13] Juncker geißelt den neuen Nationalismus, der im Gegensatz zum europaverträglichen Patriotismus, den niemand den Mitgliedsländern wegnehmen will, Europa auseinandertreibt.

[14] Er geißelt die Verrohung der politischen Rhetorik, er verwahrt sich vehement und mit Recht dagegen, dass jede Stagnation und jeder Misserfolg der Kommission als Sündenbock in die Schuhe geschoben wird. In der Tat: Die Kommission ist umso erfolgreicher, je mehr die Mitgliedstaaten am selben Strang ziehen, anstatt sich gegenseitig mit rhetorischem Dreck (das ist nicht wörtlich in der Rede!) zu bewerfen.

[15] Juncker setzt sich für das 2014 erstmals ausprobierte Szenario von Spitzenkandidaten bei den Europawahlen im Mai 2019 ein, er zeigt seine uneingeschränkte Sympathie für transnationale Listen, die dann spätestens 2024 möglich sein sollten.

[16] Eindringlich zeigt er auf, dass man nicht weiter vor sich hinwurschteln darf, sondern beschlussreife Agenden beschlossen und umgesetzt werden müssen. Dies ist die Voraussetzung für Erfolge, die für die Europäer*innen dann konkret spürbar sind.

[17] Der entscheidende Punkt in der Rede ist das Plädoyer für eine europäische Souveränität in weltpolitischer Perspektive. Im Prinzip beruht das auf der Einsicht, zu der die Europäisten schon in der Zwischenkriegszeit gekommen waren, dass Gemeinsamkeit und Multilateralismus ALLE auch je für sich stärkt. Jeder Mitgliedsstaat würde von einer starken EU profitieren, was wohl auch hinreichend empirisch nachvollzogen werden kann.

[18] Die populistischen Parteien, die in allen europäischen Parlamenten (von der kommunalen bis zur nationalen und europäischen Ebene) sitzen, die an mehreren Regierungen beteiligt sind, die in Polen und Ungarn bereits ein autoritäres Regime errichtet haben, kennen keine politische Klugheit. Sie stellen sich freiwillig außerhalb einer Tradition politischer Klugheit, die in der Antike begründet wurde.

[19] Juncker hielt seine Rede im Europäischen Parlament an dem Tag, an dem dasselbe Parlament mit der nötigen Zweidrittelmehrheit ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn nach Artikel 7 des EU-Vertrages verlangte. Das war ein wichtiger, wenn auch nicht ausreichender Schritt, aber das liegt nicht in der Hand des Parlaments.

[20] Juncker hielt seine Rede an dem Tag, an dem im Deutschen Bundestag der ehemalige Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, der AfD zu verstehen gab, dass sie sich derselben infamen Rhetorik bediene, wie seinerzeit der Faschismus (Nationalsozialismus).

[21] Diese drei parlamentarischen Ereignisse (und sicher kann man die Liste erweitern) zeigen, dass etwas verstanden wurde: Die europäische Demokratie muss entschieden und offensiv verteidigt werden.

Dokumentation: Druckversion der Rede: https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/soteu2018-speech_de.pdf

Video (gesprochenes Wort): https://ec.europa.eu/commission/priorities/state-union-speeches/state-union-2018_en

Blogeintrag zur Rede 2017

Blogeintrag zum EU-Weißbuch 2017

Blogeintrag zur Rede 2015

Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):

Wolfgang Schmale: #SOTEU: Jean-Claude Juncker – Rede zur Lage der Europäischen Union 2018. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/rede-zur-lage-der-union-2018, Eintrag 13.09.2018 [Absatz Nr.].

Teilen
  • google-share

Suche


Neueste Beiträge

  • Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi: Erster Preisträger des Internationalen Karlspreises Aachen
  • Europäische Demokratieunion
  • Kann Demokratie überhaupt noch im einzelstaatlichen (nationalen) Rahmen praktiziert werden?
  • What now for Europe, as global integration crumbles?
  • 24. Februar 2025
  • Trump und Putin gegen die Aufklärung
  • Dem historischen Prozess der Befriedung durch Recht droht das Ende
  • Europa 2024 – Eine Bilanz
  • »Freiheit« – Angela Merkels Erinnerungen
  • Datenschutz und Informationsfreiheit in europäischer Sicht – 8. Auflage des bewährten Handbuchs

Neueste Kommentare

  • Peter Nemschak bei The EU’s Geopolitical Hideout in Myanmar – Georg Bauer on Borrell’s blog post on Myanmar
  • Alexander Burstein bei Digitaler Humanismus – Lehren aus Covid-19
  • Gerhard Kaucic bei Theorie des Digitalen Zeitalters
  • Alexander Burstein bei Den Rassismus auf Abstand halten
  • Alexander Burstein bei Der EU-Gipfel 17. Juli bis 21. Juli 2020 – Pyrrhussieg oder zukunftsfähige EU? Jedenfalls kein historisches Datum…

Archiv

  • Juni 2025 (1)
  • April 2025 (2)
  • März 2025 (1)
  • Februar 2025 (2)
  • Januar 2025 (2)
  • Dezember 2024 (2)
  • November 2024 (2)
  • September 2024 (2)
  • August 2024 (1)
  • Juli 2024 (3)
  • Juni 2024 (3)
  • April 2024 (2)
  • März 2024 (2)
  • Februar 2024 (1)
  • Januar 2024 (1)
  • Dezember 2023 (1)
  • November 2023 (2)
  • Oktober 2023 (2)
  • September 2023 (1)
  • August 2023 (1)
  • Juli 2023 (1)
  • Juni 2023 (1)
  • April 2023 (1)
  • März 2023 (2)
  • Februar 2023 (1)
  • Dezember 2022 (1)
  • Oktober 2022 (1)
  • Juni 2022 (1)
  • Mai 2022 (1)
  • April 2022 (1)
  • März 2022 (1)
  • Februar 2022 (3)
  • Dezember 2021 (5)
  • November 2021 (3)
  • Oktober 2021 (2)
  • April 2021 (2)
  • Januar 2021 (1)
  • Dezember 2020 (3)
  • Oktober 2020 (3)
  • September 2020 (1)
  • August 2020 (1)
  • Juli 2020 (2)
  • Juni 2020 (1)
  • Mai 2020 (3)
  • April 2020 (2)
  • März 2020 (3)
  • Februar 2020 (2)
  • Januar 2020 (1)
  • Dezember 2019 (3)
  • November 2019 (1)
  • Oktober 2019 (1)
  • September 2019 (1)
  • August 2019 (2)
  • Juli 2019 (4)
  • Juni 2019 (1)
  • Mai 2019 (3)
  • April 2019 (3)
  • März 2019 (2)
  • Februar 2019 (2)
  • Januar 2019 (3)
  • Dezember 2018 (4)
  • November 2018 (2)
  • Oktober 2018 (2)
  • September 2018 (3)
  • August 2018 (2)
  • Juli 2018 (3)
  • Juni 2018 (5)
  • Mai 2018 (1)
  • April 2018 (1)
  • März 2018 (3)
  • Februar 2018 (5)
  • Januar 2018 (2)
  • Dezember 2017 (6)
  • November 2017 (3)
  • Oktober 2017 (3)
  • September 2017 (2)
  • August 2017 (2)
  • Juli 2017 (2)
  • Juni 2017 (2)
  • Mai 2017 (5)
  • April 2017 (2)
  • März 2017 (4)
  • Februar 2017 (4)
  • Januar 2017 (3)
  • Dezember 2016 (3)
  • November 2016 (3)
  • Oktober 2016 (3)
  • September 2016 (3)
  • August 2016 (3)
  • Juli 2016 (3)
  • Juni 2016 (3)
  • Mai 2016 (2)
  • April 2016 (4)
  • März 2016 (4)
  • Februar 2016 (4)
  • Januar 2016 (3)
  • Dezember 2015 (4)
  • November 2015 (4)
  • Oktober 2015 (5)
  • September 2015 (4)
  • August 2015 (3)
  • Juli 2015 (4)
  • Juni 2015 (4)
  • Mai 2015 (5)
  • April 2015 (4)

Schlagwörter

Antoine Vauchez Armenier Aufklärung Brexit Bundesverfassungsgericht Corona Covid-19 Democracy Demokratie Demokratie; Digitaler Humanismus Digital Humanities Emmanuel Macron EU Europa Europäische Identität Europäische Kultur Europäisches Kulturerbejahr 2018 europäische Solidarität Europäische Union Eurozentrismus Flüchtlinge Frankreich Genozid Geschichte Griechenland; House of European History Immanuel Kant Kolonialismus Kultur Macron Martin Schulz Mein Europa Menschenrechte Nationalismus Paris Polen Praxeologie Solidarität; Staat Türkei Ungarn Ursula von der Leyen Vielfalt Wiener Kongress
RSS abonieren
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Links
Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Webdesign
www.media-solutions.at

© Wolfgang Schmale, Universität Wien
Cookie-Zustimmung verwalten
Um dir ein optimales Erlebnis zu bieten, verwenden wir Technologien wie Cookies, um Geräteinformationen zu speichern und/oder darauf zuzugreifen. Wenn du diesen Technologien zustimmst, können wir Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige IDs auf dieser Website verarbeiten. Wenn du deine Zustimmung nicht erteilst oder zurückziehst, können bestimmte Merkmale und Funktionen beeinträchtigt werden.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt. Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Optionen verwalten Dienste verwalten Verwalten von {vendor_count}-Lieferanten Lese mehr über diese Zwecke
Einstellungen ansehen
{title} {title} {title}