[1] Das Europäische Parlament stellt unter den EU-Institutionen diejenige mit der stärksten demokratischen Legitimation dar. Allein deshalb wäre eine hohe Wahlbeteiligung sehr wünschenswert. Im Detail gibt es viele Gründe. Einer ist die Unionsbürgerschaft.
[2] Als Gesetzgebungsorgan (zusammen mit dem Rat) übt es eine zentrale Funktion aus. Sehr wichtige Gesetzesvorhaben wie die Datenschutzgrundverordnung und die Urheberrechtsrichtlinie haben die Rolle des EU-Parlaments stärker in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.
[3] Diese Rolle besteht freilich schon lange, aus der Geschichte soll hier an die Richtlinie zur Unionsbürgerschaft vom 29. April 2004 erinnert werden. Auf dieser Grundlage können wir in einem der EU-Mitgliedsstaaten mit einer Rechtssicherheit leben, wie es vor einigen Jahrzehnten noch nicht vorstellbar gewesen ist.
[4] Die Unionsbürgerschaft unterscheidet sich in manchen Punkten von der Staatsbürgerschaft, aber im Normalbetrieb – das heißt, solange jemand keine besonders gravierenden Gesetzesverstöße begeht – ist der Unterschied nicht spürbar.
[5] Man kann die Unionsbürgerschaft in zwei Perspektiven betrachten. Sieht man sie in der Perspektive der Geschichte der Staatsbürgerschaft, so hat letztere begonnen, den rein nationalen Raum zu überschreiten, selbst wenn es juristisch eine klare Trennung zwischen Staatsbürgerschaft und Unionsbürgerschaft gibt. In der anderen historischen Perspektive lässt sich an das historische Fremdenrecht anknüpfen, das durch die Unionsbürgerschaft zu einem Freundschaftsrecht weiter entwickelt wurde. Wenn auch nicht im Bezug zu Drittstaaten außerhalb des EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) bzw. des Schengenraums.
[6] Die Unionsbürgerschaft gilt in der ganzen EU, das bedeutet, auch in den wenigen EU-Ländern, die noch nicht Teil des Schengenabkommens sind (Bulgarien, Rumänien, Zypern) bzw. nicht Teil sein wollen (UK, Irland). Dass vier nicht-EU-Länder dem Schengenabkommen beigetreten sind (Schweiz, Norwegen, Liechtenstein, Island) tut hierbei nichts zur Sache.
[7] Die Unionsbürgerschaft und ergänzend der Schengenraum stellen einen historischen Fortschritt dar. Die Staatsgrenzen werden nicht aufgehoben, aber sie teilen nicht mehr. Statt etwas linear abzugrenzen, sind Grenzen nun Räume, insbesondere Begegnungs- und Mobilitäts- und Wirtschaftsräume.
[8] Wie bedeutsam das sein kann, ist im Zuge des Brexit an der Irland-Nordirland-Frage abzulesen: Die Abwesenheit einer physischen Grenze, ungeachtet der Fortexistenz der Staatsgrenzen, hat viel zum Gelingen des nordirischen Friedensprozesses beigetragen.
[9] Würde der Brexit wieder zu einer harten Grenze zwischen Irland und Nordirland führen, zu einer EU-Außengrenze, wäre der Friedensprozess infrage gestellt.
[10] Derzeit ist die Staatsbürgerschaft im Kontext der Unionsbürgerschaft etwas, das Möglichkeiten schafft; bei einer harten Grenze zwischen den beiden Irlands würde sie wieder zum Hindernis, zur Einschränkung, zur Reduktion von Möglichkeiten.
[11] Die EU ist wichtig, das Parlament ist ein Herzstück; damit das so bleibt, muss die EU-Wahl 2019 wichtig genommen werden.
Beitrag 2 in dieser Serie zu den EU-Wahlen: Raum des Rechts
Buch zum Thema: Wolfgang Schmale: Was wird aus der Europäischen Union? Geschichte und Zukunft. Reclam Sachbuch 2018
Danke für den wichtigen Beitrag…in den heutigen Diskussionnen ärgert mich immer wieder sehr, die Geschichts- und Faktenblindheit…da tut sowas gut…wird auch geteilt…
Danke für den wichtigen Beitrag, mich ärgert in den derzeitigen Diskussionen oft die Geschichts- und Faktenblindheit…da tut das wohl…wird auch geteilt…