Von Anton Tantner
[1] Wollte man ein Ranking der absurdesten Orte habsburgischer Herrschergeschichte erstellen, es gebührte – neben der Eingeweide-Ablagestätte in der Herzogsgruft unter dem Stephansdom und dem Freiluft-Walhalla am Heldenberg zu Wetzdorf – dem Schlosspark Laxenburg ein Platz unter den Spitzenreitern: Waren die gruseligen Büsten am Heldenberg Produkte der privaten Obsession eines Kriegsgewinnlers, handelte es sich bei der um 1800 erfolgten Umwandlung des Laxenburger Parks in ein altdeutsches Disneyland – Rittergau nannten sie es damals – um ein Projekt, das vom Kaiserhaus selbst betrieben wurde: Gegen die eben nicht nur aus Frankreich andrängenden Gespenster der Revolution berief sich die herrschende Familie auf ihre tiefe Verwurzelung in der Geschichte und beschwor insbesondere die Kräfte des mittelalterlichen Rittertums.
[2] Dabei war der Park auch sonst nicht arm an skurrilen Staffagebauten, diese waren allerdings mehr im Stil des Spätrokoko ausgeführt: Es gab dort eine Einsiedelei – ohne eigens angestellten Schmuckeremiten –, ein bescheiden als Holzstoß tituliertes Gebilde, in dem sich ein Kabinett mit Bildern und Karten verbarg, eine türkische Moschee, in der ein den Erzfeind verhöhnendes Ringelspiel aufgestellt war, eine chinesische Brücke mit Glockenspiel, des Weiteren ein Fischerdörfel, in dem der kaiserliche Nachwuchs sich an Gemüsezucht sowie Fisch- und Vogelfang ergötzen konnte.
[3] Prachtvolle Feste wurden in der imperialen Anlage veranstaltet, des Nächten erhellten zuweilen Feuerwerke den Himmel. Pech nur, dass der in Chemie dilettierende Kaiserbruder Alexander Leopold sich bei einem solchen 1795 selbst in die Luft sprengte und an seinen Verbrennungen qualvoll starb – ein rarer Fall von ausgleichender historischer Nemesis, zeichnete doch ebendieser habsburgische Schlächter als Palatin von Ungarn knapp davor für die Justizmorde an den ungarischen Jakobinern verantwortlich, die demokratische Verhältnisse angestrebt hatten.
[4] Eine solche fast demokratisch anmutende Öffnung erlebte der Park dann ein paar Jahre später, als er ab 1799 an manchen Tagen für das Publikum zugänglich gemacht wurde, wohlgemerkt aber nur für distinquirte und reinliche Leute, denn alles mutwillige Gesindel sollte ferngehalten werden, auf dass die kaiserliche Familie unbehelligt mit den Dienstbot_innen Blinde Kuh und Verstecken spielen konnte.
Vom Haus der Laune zum Rittergau
[5] Ein besonders bemerkenswerter Bau war das „Haus der Laune“, von dem im Gegensatz zu den genannten Beispielen höfischer Kleinarchitektur zumindest noch die Ziegelmauern erhalten sind. Es beherbergte eine verkehrte Welt – der Keller befand sich beispielsweise unter dem Dach –, gemäß einem italienischen Besucher war darin die soziale Ordnung erschüttert, weswegen er es auch als casa della rivoluzione bezeichnete.
[6] Ein solches „Haus der Revolution“ schien dann aber doch nicht geeignet, einen drohenden Umsturz der Verhältnisse zu bannen, war wohl zu frivol, gemahnte im Verbund mit den anderen bukolischen Bauten zu sehr an die Schäferidylle des Hameaus im Versailler Schlosspark, das der guillotinierten Marie Antoinette nicht gerade die beste Nachrede beschert hatte. Da brauchte es schwerere Geschütze, weswegen der Park – um ein Diktum Michel Foucaults zu bemühen – mit einer „tiefen Masse an Zeit“ namens Geschichte geflutet wurde: In den nunmehr angelegten Rittergau wurden Staffagebauten im mittelalterlichen Stil hingeklotzt, eine Rittersäule etwa mit einem auf der Spitze stehenden Denkmal eines anonymen Ritters, eine Rittergruft, durch die ursprünglich ein Wasserlauf floss und in der Hervorbringungen altdeutscher Kunst wie Kirchenfenster oder Altarflügel ausgestellt waren, dann eine gothische Brücke und nicht zuletzt die Franzensburg auf der Insel im Schlossteich, zeitgenössisch gerühmt als Musäum altdeutscher Denkmäler, als moderne Pyramide gar.
Turnierplatz
[7] All die genannten Bauten im Rittergau gibt es heute noch, wenn sie auch zumeist von den Parkbesucher_innen geflissentlich ignoriert werden; erhalten sind auch die Überreste der skurrilsten Einrichtung von allen, nämlich des Turnierplatzes. Dass auch um 1800 die Zeit der Lanzenstecherei zu Pferde samt Minnesang und Kreuzrittertum schon längst passé war, focht das Kaiserhaus nicht an, wer damals à la mode sein wollte, brauchte eben auch eine Arena für derlei historisierende Wettkämpfe.
[8] Südlich des Schlossteichs wurden daher eine rechteckige Fläche von 25 mal 50 Meter eingefriedet sowie eine Tribüne samt Kaiserloge – selbstredend nach altdeutscher Art – errichtet, womit es losgehen konnte mit den Ritterspielen vor einer teils beträchtlichen Menge an Zuschauer_innen, beim Namenstag der Kaiserin 1810 sollen es gar 10.000 gewesen sein.
[9] Zugänglich ist all diese Ritterherrlichkeit jedoch seit einigen Jahren wegen Baufälligkeit nicht mehr, wann die geplante Renovierung erfolgen soll, ist unklar. Und so müssen die alljährlich in Laxenburg an zwei Septemberwochenenden stattfindenden Ritterfeste für ihr Spektakel – eine große Hetz für Jung und Alt – auf eine nahe gelegene Wiese ausweichen, auf dass die modernen Ritter_innen – letztes Jahr war als Lokalmatadorin auch eine Anna von Laxenburg mit dabei – ihre todesmutigen Künste auch weiterhin zur Schau stellen können.
Autor: Anton Tantner ist Historiker an der Universität Wien, er betreibt zwei Blogs und hat mehrere historische Bücher geschrieben.
Eine kürzere Fassung erschien zuerst in: Augustin. Die erste österreichische Boulevardzeitung, Nr. 476, 13.2.2019, S. 23.