[1] Wegen des Katalexit kommt derzeit kaum jemand nach Barcelona. Doch hängt die katalanische Fahne an vielen Fenstern und Balkonen, dazu selbst geschriebene Plakate „Freiheit für die politischen Gefangenen“. Viele Passanten tragen die gelbe Schleife am Revers. Hier und da kleine Kundgebungen. Das ‚stört‘ die intensive touristische Vermarktung Barcelonas kaum – welche wiederum niemanden abhalten muss, Barcelona anders als eine riesige Rambla mit irgendwo Gaudís ‚lustiger‘ Kirche Sagrada Familia zu sehen.
[2] Vor dem Parlament, 2017 ein heißer Ort, herrscht Ruhe. Der Parc de la Ciutadella kann wieder ganz die Aufmerksamkeit für sich und die Restbauten der Weltausstellung von 1888 beanspruchen. Das Parlament ist in einem Gebäude aus dem frühen 18. Jahrhundert untergebracht, das anfangs als Arsenal diente, 1888 für die königliche Familie hergerichtet wurde und schließlich 1980 die Seiten wechselte und zum Ort der repräsentativen Demokratie Kataloniens wurde. Gegenüber, getrennt durch einen Teich und ein wenig Park stehen eine Kirche (Capilla Castrense, 1728) und ein als Schule genutztes Gebäude (ehemals Palast des Gouverneurs der Zitadelle, 1727), ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert. Diese Gebäude stellen heute den direktesten materiellen Verweis auf die Herrschaft der Bourbonen in Barcelona dar.
[3] Der historisch adäquate Zugang zu diesem Park wird ausgehend von der Plaça de Tetuan gewählt. Der Name des Platzes erinnert an Spanien als Kolonialmacht in Marokko, speziell an die Belagerung und Eroberung Tetuans. Das gewaltige Denkmal hat mit dieser Geschichte nichts zu tun, sondern ist dem Arzt Bartomeu Robert gewidmet, der 1899 sechs Monate Bürgermeister von Barcelona war und 1901 ins spanische Parlament gewählt wurde. Das ursprünglich vor der Universität aufgestellte Denkmal erinnert an einen katalanischen Nationalisten, der wegen seiner rassistischen Anschauungen eine mindestens ambivalente Figur darstellt.
[4] Als nächstes „Highlight“ folgt der Arc de Triomf, der für die Weltausstellung 1888 gebaut wurde. Er ist typisch für den in Barcelona reichhaltig vorhandenen und variantenreichen Historismus, der dem Modernisme vorausgeht bzw. oft bereits zum Modernisme gerechnet wird. Der Triumphbogen huldigt dem Neomudejar-Stil. Nicht weit davon auf dem Weg zum Park folgt der Justizpalast, der einem Kolonialgebäude zum Verwechseln ähnelt.
[5] Im Park lockt ein Monumentalbrunnen – der Font Monumental – die Besucher*innen. Die Aufbauten der Kaskade werden von einer goldenen Siegesgöttin im Streitwagen von einer Quadriga aus Hengsten gezogen gekrönt. Diese Szenerie passt natürlich zum imperialen Geist, der allen Weltausstellungen dieser Zeit anhaftete.
[6] Zweifellos eignet Barcelona ein imperialer Gestus, es kann, auch wenn vieles anders ist, darin mit der Oberstadt von Brüssel, dem Paris, Wien und Budapest des 19. Jahrhunderts und der Belle Epoque mithalten. Anders insofern, als die ausgedehnten Viertel nicht nur im Stadtteil Eixample wohnlich gestaltet wurden. Die Straßenkreuzungen sind als Oktogone gestaltet. Vier Seiten entfallen jeweils auf die Straßen, an den vier anderen Seiten stehen besonders gestaltete Häuser. Die Fassaden sind meistens historistisch, mal dezent, mal aufdringlich. Dazwischen immer wieder die Jugendstilhäuser, für die Barcelona berühmt ist. Natürlich Gaudí, aber es gab ja viele andere Architekten, die am Modernisme mitwirkten.
[7] Im Parterre der Eckhäuser finden sich oft kleine Cafés oder Tapas-Bars, in den Straßenzügen Bäckereien, Mini-Supermärkte, Schinkenläden, Käseläden, Schokoladelädchen oder verführerische Konfiserien. So gesehen also wohnlich und lebendig.
[8] Das Museu Nacional d’Art de Catalunya bietet eine Abteilung mit wunderbaren Ausstattungsstücken des Jugendstils. Und je eine Abteilung mit exzellenten Exponaten romanischer, gotischer und der Renaissancekunst. Eine Abteilung zur, so könnte man sagen, klassischen Moderne der katalanischen Kunst führt zusammen mit dem Museu d’Art Contemporani ins 20. Jahrhundert ein. Klar, dass der Bürgerkrieg einen Schwerpunkt bildet.
[9] In allen Museen muss man sich durch Kinder- und Schüler*innengruppen allen Alters hindurchschlängeln, denen die Geschichte Kataloniens bzw. Barcelonas auf Katalanisch anhand der Exponate erklärt wird. Die Kleineren müssen meistens auch zeichnen oder etwas aufschreiben.
[10] Geschichte lernen ist gut, aber es hat sich herumgesprochen, dass es in den Schulen mit einer heldenhaft-nationalen Geschichte Kataloniens übertrieben wird.
[11] Aber derweil muss das niemanden abhalten, Barcelona zu genießen. Bei der Kathedrale darf man aufs Dach steigen und einen Rundumblick durchführen. Nicht allzufern Gaudís Sagrada Familia, deren Türme im Wettstreit mit Baukränen stehen. Gaudís Variation auf die Gotik ist sicher origineller und in gewisser Weise ‚ehrlicher‘ als die sonst in Europa zur selben Zeit (um 1900) gebaute Neugotik, die perfekter und daher einfallsloser als die ursprüngliche Gotik ist.
[12] Im Areal der Kathedrale befindet sich das stadtgeschichtliche Museum, das von Touristen sehr viel weniger als anderes besucht wird, aber eigentlich ein Highlight darstellt. Man steigt in den Untergrund und wird über viele Pfade, kleine Stiegen und Sackgassen mit kleinen Aussichtsplattformen durch die Ausgrabungen des römischen Barcino und des damit verbundenen frühchristlichen Barcelona geführt. Man verlässt die Ausgrabungen mit dem guten Gefühl, dass in Antike und Spätantike weder Mangel an gepökeltem Fisch, ordentlich gebleichter Wäsche und Wein, der mit Honig und Salz gewürzt wurde, herrschte. Wasser gab es reichlich über die Aquädukte, das System der Wasserverteilung in der Stadt scheint dem normativen Standard einer römischen Stadt voll entsprochen zu haben.
[13] Die Epoche der nur knapp ein Jahrhundert währenden maurischen Herrschaft wird in einem Raum gestreift, sehr viele Überreste gibt es nicht.
[14] Alles wunderbar? Nein, manches stinkt gewaltig. Die Rede ist von Galeeren. Barcelona war in der frühen Neuzeit ein wichtiger Hafen mit Schiffbau. Das Museu Marítim stellt den originalgetreuen Nachbau der Galeere des Don Juan d’Austria, unehelicher Sohn Karls V., aus, auf der er die Flotte in der Seeschlacht von Lepanto (1571) gegen die Osmanen zum Sieg führte. Sein Kommandostand war prachtvoll ausgeführt, mit gemalten mythologischen Szenen und Figuren, das Holz vergoldet. Soweit höchst eindrucksvoll – wäre da nicht der Gestank gewesen. Die zum Galeerendienst an den Rudern verurteilten Sträflinge mussten ihre Notdurft an ihren Plätzen verrichten. Der Wind trug der Galeere den Fäkaliengestank Meilen voraus. Das Museum begnügt sich mit der schriftlichen Beschreibung dieses Umstands, obwohl die künstliche Erzeugung historischer Gerichte ganz gut funktioniert und gelegentlich schon von Museen eingesetzt wird.
[15] Will man dem imaginären Gestank entgehen, beginnt man sich ins Areal der Weltausstellung von 1929, das in den Montjuïc übergeht. Über dem Areal thront das erwähnte Museu Nacional d’Art de Catalunya, das ausgezeichnet gemacht ist. Im Innern kann der Blick immer wieder nach oben in eine der Kuppeln wandern. Im Zentrum wurde ein riesen Saal gebaut mit einer mächtigen Orgel – das Gebäude selbst ist auch ein Erlebnis.
[16] Wer rein zufällig noch immer nicht genug von katalanischer Geschichte haben sollte, kann den Abstieg vom Nationalmuseum so wählen, dass er über das Archäologische Museum führt. Hier wird mit der Ur- und Frühgeschichte gestartet.
[17] Zum Schluss zu Kolumbus, der auf einer hohen Säule aufs Mittelmeer schaut. Falsche Himmelsrichtung, möchte man ihm fast zurufen…
Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert):
Wolfgang Schmale: Barcelona. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/, Eintrag 01.12.2018 [Absatz Nr.].