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In Erwartung der französischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 (Teil 1)

Datum: 14 Nov. 2021
Von: Wolfgang Schmale
Tags: Ratspräsidentschaft EU
Kommentare: Comments are off

Ratspräsidentschaft in Zeiten des französischen Präsidentschaftswahlkampfs

Teil 2; Teil 3; Teil 4; Teil 5

[1] Die EU-Ratspräsidentschaft, die halbjährig wechselt, steht im Schatten des Europäischen Rats und seines für zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten bzw. seiner Präsidentin. Da der Europäische Rat kein Gesetzgebungsorgan ist, der Rat jedoch schon, zusammen mit dem Europäischen Parlament, hat die Ratspräsidentschaft unverändert eine hohe Bedeutung.

[2] Im ersten Halbjahr 2022 übt Frankreich die Präsidentschaft aus. Von den großen EU-Mitgliedsländern wird in der Regel erwartet, dass sie schwierige Probleme einer Lösung näher bringen. An solchen Problemen mangelt es derzeit nicht.

[3] Doch ist die kommende französische Ratspräsidentschaft zunächst einmal aus anderen Gründen besonders interessant: Am 10. April 2022 findet der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Frankreich statt. Die Ratspräsidentschaft deckt sich somit mit der wichtigen Wahlkampfzeit in Frankreich.

[4] Wer wird das Rennen machen? Emmanuel Macron? Noch ist er nicht offiziell Kandidat. Marine Le Pen wird kandidieren. Bei den „Republikanern“, den kümmerlichen Resten der ehemaligen Gaullisten, wird es im Dezember zur Kampfabstimmung zwischen mehreren Bewerber*innen kommen [Nachtrag 7.12.2021: entschieden zugunsten von Valérie Pécresse]. Bei den Sozialisten kandidiert die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo. Es wird weitere Kandidat*innen aus der Reihe der Linken, von den Grünen und anderen geben. Und dann gibt es noch einen bisher nicht offiziell erklärten Kandidaten, der noch rechts des Rassemblement national von Marine Le Pen steht: Eric Zemmour, in den französischen Medien meistens als „polémiste“ bezeichnet [Nachtrag 7.12.2021: hat sich inzwischen offiziell zum Kandidaten erklärt].

[5] Ein Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich ist immer eine hohe Zeit der politischen Auseinandersetzung, vor allem beim ersten Wahlgang, wo es traditionell sehr viele Kandidat*innen unterschiedlichster Ausrichtung gibt, von denen die meisten chancenlos sind, aber zur Bereicherung und teilweise Radikalisierung des politischen Streits beitragen.

[6] Der französische Ratsvorsitz wird von der Wahlkampfsituation berührt werden. Schon jetzt scheint klar zu sein, dass die zentrale politische Auseinandersetzung nicht zwischen E. Macron und M. Le Pen, sondern zwischen Macron und Zemmour stattfinden wird.

[7] Für Macron, der 2017 nicht zuletzt durch seine entschiedene pro-EU Haltung gewonnen hat, bietet sich die Gelegenheit, dieses pro-EU Profil in den Vordergrund zu stellen und zu schärfen. Da wird er auch sehr wenig Konkurrenz haben. Die gesamte Rechte einschließlich der Les Républicains geht auf Distanz zur EU, fühlt sich durch Polens Kampf gegen die Geltung von EU-Recht motiviert und stellt selbst die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarats, dem alle EU-Mitglieder angehören und die auch für den Europäischen Gerichtshof (der EU) große Verbindlichkeit besitzt, neuerdings infrage.

[8] Das heißt, im französischen Präsidentschaftswahlkampf wird es voraussichtlich zu einem sehr zugespitzten Pro und Kontra EU kommen. Das wird die Argumente klären – und möglicherweise Macron die Möglichkeit geben, die EU voranzubringen – was er seit 2017 versucht, ohne allzu großen Erfolg bisher.

[9] Die inhaltlichen Positionen Macrons, die auf die Ratspräsidentschaft durchschlagen werden, sind in den kürzlichen Reden und Positionsbestimmungen bei der COP26 z.B. deutlich geworden.

[10] Macron sieht in der Kernkraft eine nachhaltige Form der Energieerzeugung, die bei der Begrenzung der Erderwärmung auf unter 2 Grad unverzichtbar sein soll. Darum wird schon jetzt in der EU gestritten, ob Kernenergie von der EU ebenso als nachhaltig anerkannt werden soll, wie Energie aus Sonne, Wind und Wasser. Frankreich hat Verbündete und wird während seiner Ratspräsidentschaft, wenn die Sache noch offen sein sollte, den Druck erhöhen.

[11] Macron könnte sich im sozialen Bereich des Themas eines EU-weiten Mindestlohns noch einmal annehmen trotz aller augenblicklichen Widerstände und Hinhaltetaktiken verschiedener Mitglieder. Er will das Thema „Arbeit“ zentral anpacken, was in einer allein nationalen Denkweise kaum Sinn macht.

[12] Macron wird sein ceterum censeo einer Europäischen Souveränität so oft wie möglich aussprechen. Die geopolitischen Umstände geben ihm Recht.

[13] Der Zeitpunkt, an dem zu entscheiden ist, ob die EU das im Vertrag ausgedrückte Ziel einer immer engeren Union weiter verfolgen soll oder nicht, kommt immer näher – die deutsche Bundeskanzlerin wies beim letzten EU-Gipfel in Brüssel, als sie nach ihrer Ankunft im Gebäude des Europäischen Rats vor die Mikrofone trat, darauf hin. Genau so ist es.

[14] Es muss also geklärt werden, wie die EU bzw. ob die EU die derzeit drängenden Probleme für alle mit allen lösen soll oder nicht.

[15] Immer mehr Länder versuchen es zumindest einmal, die EU dadurch zu erpressen, dass sie sich als staatliche Schlepper und Schleuser betätigen und Flüchtlinge in großer Zahl, möglichst Familien, Kleinkinder, schwangere Frauen dabei, an eine der EU-Außengrenzen bringen. Das widerlichste Beispiel ist derzeit Belarus, ist derzeit Lukaschenko.

[16] Aber man darf nicht vergessen: Der erste, der vorgemacht hat, wie es geht, war der ungarische Regierungschef Orbán. 2014/15 ließ er die Flüchtlingssituation in Ungarn vor den Kameras der Welt immer weiter eskalieren, bis Österreich und Deutschland die Tore weit öffneten.

[17] Inzwischen sind alle 27 EU-Mitglieder in Abwehrhaltung, sie sind sich in der Frage der Flucht-Migration ziemlich einig. Nicht bei der Verteilung der Flüchtlinge, aber das ist nicht der wichtigste Aspekt.

[18] Frankreich kann hier nicht untätig bleiben, es muss auch mit Nachdruck die Einhaltung der Menschenrechte fordern und zu deren tatsächlicher Einhaltung beitragen. Der diplomatische Dienst der EU muss viel intensiver auf Mission bei allen Nachbarn der EU geschickt werden, um mit den Ländern diplomatische Lösungen zu finden und Perspektiven aufzubauen, unter denen ein europäisches Zuwanderungsgesetz wichtig wäre. Wie sehr Macron dies fördern wird oder nicht, hängt am ehesten davon ab, ob er sich davon im französischen Präsidentschaftswahlkampf etwas verspricht oder nicht.

[19] Der Stabilitätspakt der EU ist derzeit ausgesetzt. Die nächste deutsche Regierung wird zwar am Prinzip der Stabilität festhalten, aber sie wird das nicht mehr orthodox tun. Sie wird auf Macron Rücksicht nehmen, denn nur ein siegreicher Kandidat Macron ist aus Sicht einer deutschen Regierung eine gute Nachricht. Macron wird daher seine Ratspräsidentschaft vielleicht nutzen wollen, um eine dauerhafte Modifikation des europäischen Stabilitätspakts nach französischen Vorstellungen voran zu bringen.

[20] Eine Ratspräsidentschaft dauert nur ein halbes Jahr, aber das am 1. Januar 2022 beginnende halbe Jahr wird es in sich haben, die EU wird am 1. Juli 2022 vielleicht nicht dieselbe sein wie noch jetzt.

Empfohlene Zitierweise (die Absätze sind in eckigen Klammern für Zitationszwecke nummeriert): Wolfgang Schmale: In Erwartung der französischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022. In: Wolfgang Schmale: Blog „Mein Europa“, wolfgangschmale.eu/franzoesische-ratspraesidentschaft-2022-teil-1, Eintrag 14.11.2021 [Absatz Nr.].

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